Inflation – wo bleibt das Geld?

 

 

Nachdem es gefühlt Jahrzehnte keine Zinsen gab und auch die Banken dafür zahlen mussten, wenn sie ihr Geld bei der Zentralbank hinterlegten, haben sich die Verhältnisse in jüngerer Zeit stark geändert. Nicht nur dass fast alle Zentralbanken weltweit wieder Zinsen eingeführt haben, auch das Geld wird immer weniger wert. Es herrscht Inflation, in Deutschland um die 8%. Und es ist kein Ende in Sicht. Energie, Mieten, Lebensmittel, alles wird im Gleichschritt teurer. Nur Gehälter, Renten und Pensionen bleiben gleich. Das weckt Unmut. Was geht da ab, was lässt sich dagegen machen und was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun?

 

 

 

 

 

„Schon wieder steigen die Preise“. So oder ähnlich kann man es fast täglich in der Zeitung lesen. Tatsächlich beträgt die allgemeine Inflationsrate in Deutschland im Februar 2023 im Vergleich zum Februar 2022 8,7 %, bei Lebensmitteln sogar 21,8 %. Dabei ist „die Preise steigen“ eine sehr schwammige Aussage, denn es gibt nahezu genauso viele Preise wie es Güter gibt, und einige steigen heftig, andere weniger, noch welche gar nicht.

 Die ausgewiesenen Inflations-Werte werden vom Statistischen Bundesamt in einem relativ komplizierten Verfahren errechnet und veröffentlicht. Das Amt bildet verschiedene sog. Preisindizes, der bekannteste davon ist der Verbraucherpreisindex.  Ihm liegt ein sog. Warenkorb zugrunde, der diejenigen Güter umfasst, die deutsche Haushalte am häufigsten kaufen. Er enthält 12 Warengruppen (z.B. Nahrungsmittel, Bekleidung, Wohnung, Verkehr) und wird in seiner Zusammensetzung regelmäßig der aktuellen Entwicklung des Kaufverhaltens angepasst. Als Durchschnittswert bildet er naturgemäß niemals die tatsächlichen Verbrauchsstrukturen einzelner Haushalte ab, so dass nicht selten auch die von den Menschen wahrgenommenen Inflationswerte von den amtlich veröffentlichten abweichen. (sog. gefühlte Inflation) Bei der Währungsumstellung von DM auf Euro war die Abweichung zwischen amtlichem und „gefühltem“ Wert der Inflation besonders krass. Zudem gibt es neben dem Verbraucherpreisindex diverse andere Preisindices, z.B. für Erzeugerpreise, Großhandels- und Importpreise, die jeweils für besondere Betrachtungen bedeutsam sind.

  Für Ökonomen sind die Entwicklung des Preisniveaus und die Möglichkeiten zu seiner wirtschaftspolitischen Beeinflussung ein beliebtes Forschungsfeld. Dabei gibt es diverse Theorien darüber, wovon die Preisentwicklung abhängt und wie sie politisch zu beeinflussen ist. Konsens herrscht, dass eine hohe Inflation ebenso wie eine negative (Deflation) möglichst vermieden werden sollten.

  Politisch ist in der EU vor allem die Europäische Zentralbank und in ihr der sog. EZB-Rat für die Sicherung der Preisniveaustabilität verantwortlich. Das zentrale Instrument neben anderen geldpolitischen Handlungsmöglichkeiten ist die Zinspolitik. Die EZB legt damit den Leitzinssatz fest, der als Preis für die Geldaufnahme der Geschäftsbanken bei der Zentralbank berechnet wird. Dieser sank seit 2011 kontinuierlich von damals 1,5% bis 2016 auf 0% und wurde danach ab Herbst 2022 schrittweise wieder erhöht auf jetzt 3,5%, einen Wert, den es seit 2008 nicht mehr gegeben hat.

 Der Leitzins beeinflusst auch, welchen Zinssatz die Geschäftsbanken ihren Geschäfts- und Privatkunden für Kredite berechnen oder auch z.B. für Spar-Guthaben zahlen. Dadurch werden – so die Theorie – die Kreditnachfrage und damit die Geldentwertung reduziert. Denn höhere Zinsen verteuern die Kredite. Unternehmen investieren weniger. Auch Privatpersonen nehmen weniger Kredite z.B. für den Eigenheimbau auf. Daher sinkt die Nachfrage nach Gütern in der Wirtschaft und folglich setzen die Firmen ihre Preise herunter.

  Als ursächlich für die aktuelle Inflation werden zumeist vor allem die coronabedingten Störungen der internationalen Lieferketten und der Krieg Russlands gegen die Ukraine genannt. Sie verteuerten die internationalen Beschaffungspreise und die Energiepreise stark, nicht zuletzt wegen der Sanktionen der westlichen Länder gegen Russland und wegen des damit verbundenen Ausfalls von Gas- und Öllieferungen. Tatsächlich stieg die Inflationsrate in Deutschland bereits vor dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine, danach noch einmal deutlich stärker. An den Indizes für die vorgelagerten Produktionsstufen (Einfuhrpreise, Erzeugerpreise, Großhandelspreise) lassen sich bereits seit Frühjahr/Mitte 2021 zweistellige Preissprünge ablesen, die sich in den Verbraucherpreisen erst mit zeitlicher Verzögerung niederschlugen, aber auch dort bereits vor Februar 2022 das Niveau von über 4% erreichten. Weitere Preissprünge bis hin zu den aktuellen Höchstwerten von über 8% folgten.

  Nicht zuletzt die teilweise panisch anmutenden Bemühungen der Bundesregierung, den Ausfall russischer Energielieferungen durch Verträge mit anderen Lieferländern auszugleichen, trugen zu drastischen Preissteigerungen bei. Eine massive Förderung der erneuerbaren Energien hätte die Nutzung fossiler Energien auch im Sinne des Klimaschutzes reduzieren und diese Entwicklung vermeiden können. Das nicht zuletzt von der Industrielobby beschworene Schreckgespenst eines drohenden Energieblackouts hat eine fortschrittliche Energiepolitik verhindert. Heute wissen wir, dass über den gesamten Winter 2022/23 vor allem wegen erfolgreicher Bemühungen beim Energiesparen nie die Gefahr eines Blackouts bei Strom oder Gas bestand.

  Um nun aber die Diskussion über die Inflationsumstände vom Kopf auf die Füße zu stellen, ist es aus meiner Sicht nützlich, einmal grundlegend festzustellen, wie denn eigentlich die Preise für Güter und Dienstleistungen zustande kommen. Ökonomen sagen immer, es sei der Marktmechanismus, also das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, das den Preis eines Gutes bestimmt und so zu einem gerechten Interessenausgleich führt. Erhöht ein Anbieter den Preis, dann werden preissensible Nachfrager auf billigere Alternativen ausweichen. Will der Anbieter die Kunden nicht verlieren, wird er den Preis wieder senken. Und das gilt für nahezu alle Waren, sagt die Ökonomie. So etwas wie der demonstrative Kauf von Rolex Uhren und Armani Anzügen, was auch immer sie kosten, bestätigt nur die Regel.

 Nun stellen wir aber immer öfter fest, dass ein Ausweichen der Nachfrager auf preiswertere Waren nicht oder kaum stattfindet. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe:

  • weil so gut wie alles teurer wird und damit ein Ausweichen praktisch nicht möglich ist,
  • weil eine versteckte Preiserhöhung z.B. durch Packungsverkleinerung gar nicht bemerkt wird,
  • weil einige Menschen(z.B. viele Autofahrer) kaum oder überhaupt nicht preissensibel sind, sondern gewohnheitsmäßig kaufen, was
    sie brauchen,
  • weil man ja irgendwie zeigen muss, dass man sich was leisten kann, was andere nicht können
  • oder weil die diversen Wummse der Bundesregierung einigen Menschen das Weiter so bequem machen und keinen Anlass zu
    Verhaltensänderungen geben.

 Diese Aufzählung ist sicher nicht vollständig, belegt aber, dass die These vom automatischen fairen Ausgleich von Angebot und Nachfrage zumindest löchrig ist. Es sind konkrete Akteure, die Anbieter von Gütern und kommerziellen Dienstleistungen, die die Preissetzungshoheit besitzen und die niemanden fragen müssen, in welcher Höhe sie ihre Preisforderungen festlegen. Sie werden als Kaufleute ihre Kosten im Blick haben und auch die wahrscheinlichen Marktreaktionen abzuschätzen versuchen. Wenn es aber gerade so gute Argumente für erhöhte Preisforderungen gibt wie derzeit, dann ist es naheliegend, nicht lange damit zu zögern, sondern eventuelle Absatzmengeneinbußen im Gefolge höherer Preise in finanzielle Umsatzzuwächse und damit höhere Gewinne zu verwandeln.

  Die Nachfrager folgen, nicht immer, aber immer öfter. Oft haben sie gar keine Wahl, als die geforderten höheren Preise zu zahlen oder gar nicht zu kaufen. Denn die Preise der Wettbewerber steigen nahezu im Gleichschritt. Preiswettbewerb findet kaum noch statt. Die Nachfrager, vor allem die Bezieher von Gehältern, Pensionen oder Renten merken dann am Ende des Monats, dass das ganze Geld schon wieder weg ist und für Rücklagen nichts übrig bleibt, zumal wenn ihre Einkommen sich im unteren Bereich befinden. Denn sie können die Preisforderungen für ihre Arbeitsleistungen nicht einfach erhöhen, weil diese in Tarifverträgen und im Arbeitsvertrag festgeschrieben und nur selten individuell verhandelbar sind.

  Auf den Konten der Anbieter aber bleibt nicht selten Stattliches übrig, mehr als in den Vor-Corona- und Vorkriegszeiten. Vor allem die Energieproduzenten erzielen prächtige Gewinne. Shell meldet für 2022 einen Rekordgewinn von knapp 40 Mrd. $. „Konkurrent“ Exxon Mobil verdiente im gleichen Jahr sogar satte 55,7 Mrd. $, eine Steigerung gegenüber 2021 von 140%.  Auch andere Branchen sind gut dabei. Z.B. Bayer mit 361% Gewinnsteigerung, die Commerzbank mit 261 % und die VW-Tochter Traton mit 184%. 

 Umsatz- und Gewinnsteigerungen trotz verringerter Absatzmengen lassen sich in der Autoindustrie beobachten. So legte z.B. Daimler sowohl Umsatz- (12%) als auch Gewinnsteigerungen (28%) vor, verkaufte aber der Zahl nach weniger Autos als im Vorjahr, vor allem weniger preiswertere Modelle mit geringerer Marge. Gleiches gilt z.B. auch für einige Energieversorger, die trotz der Verbrauchs-Einsparungen ihrer Kunden höhere Umsätze generieren.

  Auch der Staat profitiert prächtig von der Inflation, von höheren Zinsen für neue Staatsanleihen einmal abgesehen. Preissteigerungen führen zu höheren Staatseinnahmen bei den Konsumsteuern, insbesondere bei der Mehrwertsteuer. Zudem schrumpft der Staatsschuldenberg, da die Inflation Schuldner entlastet.

 Wir können also festhalten: Die Inflation bewirkt eine Umverteilung von den Portemonnaies der Arbeitnehmer und Rentner auf die Konten der Unternehmen, in die Depots der Aktionäre und zu den Steuereinnahmen des Bundesfinanzministers. Die ohnehin schon grassierende Umverteilung von unten nach oben, die auch der Staat z.B. mit Kaufprämien für Hybrid-PKWs und Steuergeschenken für Dienstwagen noch fördert, wird durch die aktuelle Inflation massiv befördert, den zinspolitischen Bemühungen der Zentralbank zum Trotz.

 Tatsache ist aber auch, dass die Betroffenen sich dagegen zur Wehr setzen können. So fordern in jüngerer Zeit Gewerkschaften wieder zweistellige Lohnerhöhungen. Verdi und EVG bestreiken öffentliche Dienstleistungen. Bei der Deutschen Post wurde nach Urabstimmung eine Gehaltserhöhung von 11,5% vereinbart. Allerdings sind deutschlandweit nur noch 13% der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert (2021). In den 90er Jahren waren noch über 30% der Arbeitnehmer Mitglieder in DGB-Gewerkschaften. Schon damit lag Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern weit im Hintertreffen. In Dänemark und Schweden waren es 2019 etwa 65%.

  Streikandrohungen oder Streiks sind also grundsätzlich möglich, um die Umverteilungswirkungen der Inflation zu korrigieren. Allerdings deutet der Mitgliederschwund der Gewerkschaften darauf hin, dass nur noch recht wenige deutsche Arbeitnehmer dazu bereit und in der Lage sind, ihre Interessen organisiert durchzusetzen und die Gewerkschaften es nicht verstanden haben, diese Entwicklung aufzuhalten. Auf der anderen Seite sind immer weniger Unternehmen Mitglieder in Arbeitgeberverbänden, so dass ausgehandelte Tarifverträge für sie nicht gelten.

 Und was hat das alles nun mit Nachhaltigkeit zu tun? Auf den ersten Blick könnte man meinen, das ist prima: Je mehr arme Menschen es gibt, desto weniger wird konsumiert und damit desto weniger Schaden an der Natur angerichtet. Das ist aber nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Denn zum einen ist der ökologische Fußabdruck der Reichen um ein Vielfaches höher als der von Normalverdienern und er wird umso größer, je weiter die Schere der Einkommens- und Vermögensverteilung auseinanderklafft. Aktuell verursachen die reichsten 10% der deutschen Bevölkerung etwa 60% der verbrauchsbedingtenn Umweltinannspruchnahme. Zum anderen werden die meisten Klima- und Nachhaltigkeitsschäden nicht von Konsumenten, also von den Bürgern verursacht, sondern von denen, die über wirtschaftliche Entscheidungs- und damit u.a. auch Preissetzungsmacht verfügen. Und die meisten von diesen orientieren sich dabei, auch wenn sie in öffentlichen Verlautbarungen immer öfter von Nachhaltigkeit sprechen, vor allem an Gewinninteressen.

  Das ist es, was sowohl die Inflation als auch den Klimawandel befördert. Das ist es, was eingehegt und begrenzt werden muss, wenn wir wirklich vorankommen wollen mit der Rückkehr zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Dabei kann dann natürlich jede*r einzelne Arbeitnehmer*in und Konsument*in mitwirken, indem sie wieder lernen, gemeinsam für ihre Interessen zu kämpfen und die Inflationsgewinne zurück zu verteilen. Auch preis- und öko-bewusster Konsum hilft. Verbraucher können diejenigen Unternehmen unterstützen, die eine verträgliche Preispolitik betreiben und diejenigen, die sich ernsthaft auf den Weg in Richtung Nachhaltigkeit machen. Sie können vorzugsweise deren Produkte kaufen, beim Umbau in Richtung Nachhaltigkeit mitwirken und/oder selbst etwas außerhalb der formalen Arbeitswelt auf die Beine stellen, z.B. das eigene Gemüse zum Teil selbst anbauen.  Helfen könnte allerdings auch der Staat, der momentan noch eher das Gegenteil tut: Umweltschädliche Subventionen streichen, die diversen Wenden endlich nicht nur ankündigen, sondern aktiv antreiben, und schließlich das Steuersystem so umbauen, dass es sozial- und nachhaltigkeitsschädliche Handlungen finanziell unattraktiv macht und entsprechend förderliche Maßnahmen belohnt. Das alles geht, wenn man will.