Selbst kochen, warum denn das?

Kürzlich berichteten die Zeitungen über eine Studie der deutschen Ernährungswirtschaft, die folgendes Ergebnis zutage brachte: Immer weniger Deutsche können sich selbst eine warme Mahlzeit zubereiten. Zwar sei die Zahl der Fernseh-Kochshows kaum mehr überschaubar, aber die Fähigkeit, sich oder seiner Familie ein komplettes warmes Essen zuzubereiten, schwinde immer mehr. Eine ältere Studie hatte bereits gezeigt, dass in nur 46 % der deutschen Haushalte regelmäßig selbst gekocht wird, in Italien immerhin in 79% der Haushalte. Nur die sprichwörtlichen Engländer könnten noch weniger kochen. Das lässt tief blicken, meine ich, aber was hat es mit Nachhaltigkeit zu tun?

 

 

 

 Wir erinnern uns alle noch sehr gut: Als die Corona Pandemie in Deutschland in Form von Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen die ersten politischen Konsequenzen hatte, kam es zu Hamsterkäufen. Insbesondere Klopapier war schnell ausverkauft und kam auch sehr zögerlich wieder in die Regale zurück. Die Erklärungen, die man in den Gazetten lesen konnte, haben mich nicht überzeugt. Wir hätten dadurch der Hoffnung Ausdruck gegeben, die Dinge trotz allem noch unter Kontrolle zu haben, hieß es. Klopapier sei zum Symbol der Sicherheit geworden. Sauberkeit auf dem Klo sei Ausdruck eines intimen Bedürfnisses, ja der Menschenwürde, wurde gemutmaßt. Auch Sigmund Freuds anale Phase wurde bemüht: Unbewusst gehe es beim Klopapierkäufer um die Vorstellung, die Bedrohung auszuscheiden und sich von der Angst zu säubern. Na ja…

 Tatsächlich haben die Deutschen jedoch „nur“ ca. 118% mehr Klopapier gekauft als sonst üblich, aber 170% mehr Nudeln, 180% mehr Reis, 200% mehr Mehl und sogar 330% mehr Backmischungen. Immerhin, Nudeln, Reis und Mehl verlangen, dass man sie zur Herstellung verzehrbaren Essens in Salzwasser eine bestimmte Zeit lang kocht oder zusammen mit anderen Bestandteilen zu einer richtigen Speise zubereitet. Der Mehrverbrauch an Fertigpizza wurde leider nicht erhoben, er dürfte noch höher gewesen sein. Denn bei Backmischungen muss man meines Wissens immerhin noch Wasser oder Milch hinzugeben und das Ganze bei auf der Packung angegebener Temperatur backen. Und dann kann man sagen: habe ich selbst gebacken.

 Selbst das tun aber nicht einmal mehr die Hälfte der Deutschen öfter als Sonntags oder wenn mal Besuch kommt. Sie kaufen ihr Essen in Schnellrestaurants, in der Kantine oder kurz auf dem Weg beim Bäcker oder der Dönerbude. Und wenn’s nicht nur sättigen, sondern auch schmecken soll, dann gehen sie eben zum Chinesen, Griechen oder Italiener. Man gönnt sich ja sonst nichts.

 Nun gut, wenn in der Familie beide Eltern Vollzeit oder in mehreren Teilzeitjobs arbeiten und womöglich auch noch einen längeren Weg zum Arbeitsplatz haben, dann bleibt nicht viel Zeit für häusliche Arbeiten. Und wenn dann das meiste davon bei der Frau hängen bleibt, weil der Mann zwar am Wochenende und im Urlaub grillen, aber sonst vermeintlich nicht kochen, waschen und putzen kann, wer will ihr dann einen Vorwurf machen, wenn sie keine Lust mehr zum „richtigen“ Kochen hat? „Das bisschen Haushalt…“.

 Zudem muss man die Frage stellen, was „kochen“ eigentlich bedeutet. Fängt es beim Auftauen einer Fertigpizza an oder wenn man Nudeln kocht und dazu eine Fertigsauce warm macht? Kann einer kochen, wenn er weiß, dass Salzkartoffeln geschält ca. 20 min. in Salzwasser gekocht werden müssen, bis sie auf den Teller kommen? Ist es schon die hohe Kunst, wenn man Bratkartoffeln zubereiten kann oder eine Bohnensuppe nicht aus der Dose? Oder muss man wissen, dass eine Sauce Bearnaise aus Butter und Eigelb im warmen Wasserbad geschlagen wird, bevor ein Sud aus Estragon, Kerbel, Zwiebel, Essig und Brühe dazu kommt? Spitze wäre es, wenn Koch wüsste, welche Pflanzen und Kräuter, die bei uns in Wald und Flur wachsen, genießbar oder gar wohlschmeckend sind und wie man sie zubereitet.

 Ich möchte jedem die Antwort auf diese Fragen selbst überlassen, denke aber, dass es für einen erwachsenen Menschen, egal ob Frau, Mann oder divers, zu den Grundfertigkeiten des Lebens gehört, sich mit selbst zubereitetem „richtigen“ Essen versorgen zu können. Wenn das bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung nicht mehr der Fall ist, läuft etwas schief. Dann hat das kommerzielle Angebot an Fertignahrung, in welcher Form auch immer, uns lebensuntüchtig gemacht. Ja, es ist bequem, eine Lebensmittelindustrie zu haben, die sich immer neue Fertigprodukte einfallen lässt, die man/frau aus der Packung auf den Tisch bringen kann. Aber doch bitte nur dann mal, wenn die Zeit fürs Selbermachen mal nicht gereicht hat. Sonst sind wir die Konsumsklaven, als die die Corona-Krise viele von uns entlarvt hat, mit Fertigpizza und Backmischungen.

 Tatsächlich aber konnte man hören, dass der Lock down bei vielen das Selberkochen wieder zum Leben erweckt hat und dass ihnen das sogar Spaß gemacht hat. Die in ihrer Wohnung eingesperrten Menschen haben auf einmal Fähigkeiten entdeckt und entwickelt, von denen sie gar nicht mehr wussten, dass sie sie haben oder wieder erlernen konnten. Und die ganze Familie ist dann zusammengekommen, um das Zubereitete gemeinsam zu essen.

 Lasst Euch diese Gemeinsamkeiten nach der Lockerung der Kontaktbeschränkungen bitte nicht mehr nehmen! Denn selbst aus frischen Zutaten kochen und gemeinsam mit Familie und Freunden essen, auch wenn es kein 4-Sterne-Menü ist, das ist nicht nur ein Gewinn für alle Beteiligten, es ist auch nachhaltig. Es fördert den Gemeinsinn und es bringt uns zum Nachdenken darüber, was es zur jeweiligen Zeit in der Region, in der man lebt, an frischem Obst und Gemüse gibt, ohne dass es von weit hergeschafft und/oder lange tiefgekühlt werden muss. Natürlich kauft man frische Lebensmittel am besten auf dem Wochenmarkt oder im Holfladen, eher nicht im Supermarkt, wo die meisten Sachen aus der industriellen Landwirtschaft stammen, weil die in großen Mengen am billigsten produziert.

 Wer mag, kann einiges auch selbst anbauen, urban gardening nennt man das. Das fördert vielleicht sogar das Nachdenken darüber, wie oft es denn Fleisch oder andere tierische Produkte sein müssen. Oder es fördert die Sensibilität dafür, dass aufessen die bessere Wahl ist als in die Mülltonne werfen. Ich bin überzeugt, dass gemeinsam kochen und essen nicht nur aus jeder/m von uns einen kompletteren und irgendwie glücklicheren Menschen macht, der sein Leben selbst im Griff hat, sondern dass es auch unsere Achtung vor den Produkten der Natur entwickelt und damit ein Leben im Einklang mit eben dieser Natur fördert. Wenn das nicht nachhaltig ist…