Vegan die Welt retten?

 

 

In jüngerer Zeit nimmt die Zahl der Menschen, die in Deutschland vegan leben, stetig zu. 2022 gab es laut der Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse 1,58 Millionen Veganer, Tendenz weiter steigend.  Oft ist der Veganismus für diese Menschen nicht nur Leitlinie für ihr Konsumverhalten, sondern darüber hinaus Überzeugung, ethisch verantwortlich zu handeln und damit wesentlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. 

 

 

 

 

Veganismus steht für eine Haltung, vollständig auf den Konsum tierischer Produkte zu verzichten, getreu dem 1951 erstmals formulierten Leitsatz der britischen Vegan Society, „dass der Mensch ohne Ausbeutung von Tieren leben soll“.  Das bezieht sich zunächst auf Nahrungsmittel, wird aber zumeist auf Gebrauchsgüter, Kosmetika, Kleidung usw. ausgeweitet. Veganismus ist damit eine Fortentwicklung des Vegetarismus, der seine Wurzeln in den USA in christlich-fundamentalistischem Denken hat. Während Vegetarier den Verzehr tierischer Produkte wie Milch und Eier und die Nutzung z.B. von Leder- und Pelzwaren akzeptieren, schließen Veganer auch diese aus.

Nach meinem Eindruck ist der christlich-religiöse Bezug heute weitgehend verlorengegangen. Als Überzeugungsgrundlagen dienen nunmehr überwiegend Aspekte des Tierschutzes, der Gewaltlosigkeit, der physiozentrischen Naturethik und des wissenschaftlich begründeten Eintretens für Klimaschutz und Nachhaltige Entwicklung. Insbesondere bei jungen Menschen aus unserem westlichen Kulturkreis scheint mir der Veganismus für einen demonstrativen Lifestyle zu stehen, der sich ausdrücklich von dem der Elterngeneration abgrenzt. Denn auch wenn religiöse Bezüge kaum noch vorkommen, fällt bei der Lektüre veganistischer Veröffentlichungen immer wieder deren missionarische Diktion auf, die nicht selten sogar Menschen, die die dort vertretene Position nicht teilen, als unmoralisch abwertet, ganz krass z.B. auf der Seite „carelite.de“, auf der ich viele andere Beiträge durchaus schätze. Die ethischen Beweggründe will ich an dieser Stelle außen vor lassen, weil ich mir nicht anmaße, eine ethisch gründende Haltung zu kritisieren, auch wenn ich sie selbst nicht teile, ganz in der Tradition des Preußenkönigs Friedrich II., der jeden Menschen „nach seiner Facon selig werden“ ließ.

Bleibt das Thema Nachhaltigkeit. Veganer*innen begründen ihren Verzicht auf tierische Produkte fast immer auch mit dem Argument, dass ein veganes Leben entscheidend zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt, ja dass umgekehrt eigentlich niemand sagen könnte, er*sie setze sich für Nachhaltigkeit ein, der nicht Veganer*in ist. Das möchte ich im Folgenden genauer prüfen.

Die vorgebrachten Argumente sind beeindruckend. Studien haben deutliche Ressourcen- und Belastungseinsparungen zutage gebracht, die mit einer vollständigen Umstellung auf die vegane Lebensweise verbunden wären.

·         Die Emission von Treibhausgasen würde um durchschnittlich 50- 70% reduziert.

·         Die Bodenversauerung würde um 50 % zurückgehen, die Eutrophierung (Nährstoffanreicherung) von Böden und Gewässern ebenfalls um 50 %.

·         Pro Person und Jahr könnte der CO2 Fußabdruck um 1 to reduziert werden.

·         Der landwirtschaftliche Flächenverbrauch könnte um 76 % verringert werden.

 Durch eine komplette Renaturierung dieser Flächen könnten jährlich 8 Milliarden Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre gebunden werden. Auch der weltweite Wasserbedarf würde stark sinken.

Tatsächlich ist die Produktion tierischer Nahrungsmittel ein unproduktiver Umweg gegenüber dem Verzicht auf tierische Nahrung, denn sie verbraucht erheblich mehr pflanzliche Biomasse, als wenn diese von Menschen unmittelbar verzehrt würden. Laut FAO („Livestock's long shadow“ 2006) trägt die extensive Tierhaltung mit etwa 18% zum Treibhauseffekt bei. Dafür sind in erster Linie tierische Ausscheidungen verantwortlich, vor allem Gülle und Methan. Allerdings fressen Tiere auch Pflanzen wie Gräser, Baumtriebe und dergl., die für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind.

Wenn man diese Zahlen liest, kommen einem schon Zweifel, ob die eigene Lebens- und Ernährungsweise unter ökologischen Gesichtspunkten noch vertretbar ist. Ist Omnivorie, also der Verzehr von tierischer und pflanzlicher angesichts der gravierenden Nachhaltigkeitsprobleme heute noch vertretbar, auch wenn man relativ oft auf tierische Nahrung verzichtet?

Hier gilt es, die dargestellten möglichen Effekte in den gesamten Lebenszusammenhang zu rücken. Denn sie werden berechnet in Bezug auf den aktuell vorherrschenden Lebenswandel vor allem der Menschen in den „reichen“ Industrieländer. Z.B. bei der Ernährung weicht dieser jedoch deutlich von dem ab, was unabhängige Gesundheitsberater empfehlen, um sog. Zivilisationskrankheiten vorzubeugen. Auch eine spürbare Reduzierung des Fleischkonsums hätte bereits spürbare Effekte in die gleiche Richtung.

Zudem macht die Ernährung insgesamt beim ökologischen Fußabdruck nur gut 25% aus. So beansprucht der/die Durchschnittsdeutsche durch Ernährung eine Fläche von 1,3 gha, die er/sie durch den vollständigen Verzicht auf tierische Produkte zwar auf 0,4 gha reduzieren könnte, was insgesamt den Fußabdruck jedoch nur von 4,7 auf 3,8 gha verringern würde. Wenn andere Lebensbereiche wie Wohnen und Mobilität weitgehend unverändert bleiben, ist also nicht sehr viel gewonnen. Mein persönlicher Fußabdruck reduziert sich im Bereich Ernährung auf Grund meines seltenen Fleischkonsums immerhin von 1,3 auf 0,8 gha, könnte also durch kompletten Verzicht auf tierische Produkte nur noch um weitere 0,4 gha reduziert werden. Zudem gibt es bei der Berechnung des Fußabdrucks einen Sockelwert von 0,9 gha, auf den der/die Einzelne gar keinen Einfluss hat, weil er gesamtgesellschaftliche Verbräuche abbildet. Veganismus leistet damit einen Beitrag zur Reduzierung der individuellen Umweltinanspruchnahme, der erkennbar, aber nicht überragend ist. Beim CO2 Fußabdruck lenkt diese Sichtweise zudem davon ab, dass der/die Einzelne nur für einen sehr geringen Teil der ihm/ihr darin zugerechneten CO2 Emissionen verantwortlich ist, weil tatsächlich vor allem Industrie und Energiewirtschaft darüber entscheiden, welche Energieträger sie nutzen.

Tatsächlich haben Veganer oft einen sonstigen Lebenswandel, der mit anderen Umweltbelastungen einhergeht, die gegenüber dem „Normalo“ durchaus höher ausfallen können. Dabei muss man nicht an den demonstrativen Porschefahrer Attila Hildmann denken, der zunächst als veganer Koch und Kochbuchautor auftrat, bevor er sich als schwurbelnder Verschwörungsideologe einen Namen machte.

Auch normale Veganer*innen können ihre pflanzlichen Lebensmittel nicht allein aus regionaler Produktion beziehen. Sie sind auf weltweit produzierte Produkte angewiesen, zumal wenn sie Mangelerscheinungen vorbeugen wollen. Das aber bedeutet wiederum, dass auf Flächen in Staaten der südlichen Hemisphäre Pflanzen angebaut werden, die nur für den Konsum in den reichen Ländern genutzt werden. Es bedeutet hohen Wasserverbrauch in oft wasserarmen Regionen und lange Transportwege. Wer regionale Produkte nutzt, auch wenn sie tierischen Ursprungs sind, vermeidet diese Auswirkungen.

Zudem kaufen Veganer nicht selten industriell verarbeitete Lebensmittel, also Fertigprodukte wie Fleischersatz oder vegane Eier, die gesundheitlich nicht besonders wertvoll sind und deren Ökobilanz deutlich schlechter ist als die von selbst zubereiteten Lebensmittel.  Bei nachhaltiger Ernährung spielt im Übrigen die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung eine große Rolle, für die weniger Produzenten und Handel als vielmehr die Verbraucher verantwortlich sind. Jährlich werfen die deutschen Haushalte mehr als 6 Mio. to Lebensmittel weg, das sind knapp 60% der gesamten Lebensmittelabfälle. Hierin unterscheiden sich vegane Verbraucher vermutlich nicht signifikant von „normalen“.

Nicht selten geht Veganismus als Lifestyle heutzutage mit ausgeprägter Körperoptimierung einher. Bodybuilder propagieren vegane Ernährung ebenso wie körperoptimierende Influencer*innen, die ich allerdings nur vom Hörensagen kenne, weil ich mich in den sog. sozialen Medien nicht bewege. In welchem Umfang dies Umweltverbräuche in anderen Lebensbereichen steigert, kann ebenfalls nicht mit Zahlen unterlegt werden. Allerdings ist in der entsprechenden Szene jedoch in Bezug auf Körperpflege, Kleidung und Reiseverhalten schon ein den Durchschnitt übersteigender Konsum zu beobachten.

Vegane Gebrauchsgüter, vor allem im Bereich Kleidung und Körperpflege, werden überwiegend aus synthetischen Rohstoffen hergestellt: Kunstfasern statt Wolle, Kunststoff- statt Lederschuhe, Kosmetika ohne Stoffe tierischen Ursprungs. Synthetische Stoffe haben allerdings fast immer die unerwünschte Eigenschaft, von der Natur gar nicht oder sehr schwer abgebaut zu werden. Sie verbleiben nach der Nutzung in der Natur, werden u.a. zu Mikroplastik und geraten auf diese Weise auch in die menschliche Nahrungskette. Nachhaltig ist das durchaus nicht, wohl aber mit Veganismus untrennbar verbunden.

Eines ist unstrittig: Die Massentierhaltung, wie sie vor allem in Industrieländern, aber auch zunehmend in der weltweiten Nahrungsmittelproduktion praktiziert wird, ist wie die industrielle Fischerei weder nachhaltig noch sonst akzeptabel. Sie überfischt die Meere, fügt Tieren Leid zu, tötet „nicht erwünschte“ Tiere, belastet die Umwelt z.B. durch Einsatz von Antibiotika und begünstigt dadurch Resistenzen auch im Bereich der menschlichen Krankheitsbekämpfung. Diese von Veganern vertretene Auffassung ist uneingeschränkt richtig. Konsequente ökologische Landwirtschaft und küstennahe Fischerei in überschaubarer Betriebsgröße vermeiden dies und sind dennoch in der Lage, die weltweite Lebensmittelversorgung zu gewährleisten. Das gilt in besonderem Maße für die traditionelle Fischerei in den Ländern des globalen Südens, die von der europäischen Großfischerei immer stärker geschädigt wird.

Insgesamt ist es daher vor allem notwendig, den Konsum vor allem in den reichen Ländern umzustellen und spürbar zu senken. Ohne signifikantes Weniger ist Nachhaltigkeit nicht zu erreichen. Das gilt natürlich auch für den Verzehr tierischer Produkte aller Art. Regionalität und Saisonalität müssen hinzukommen. Am Beispiel Deutschland: Erdbeeren im Winter und Quinoa aus Bolivien sind ebenso wenig nachhaltig wie das tägliche Schnitzel oder das norwegische Zuchtlachsfilet. Hier treffen sich die Empfehlungen von Gesundheitsberatern mit denen von Nachhaltigkeitsforschern. So formuliert es die deutsche Gesellschaft für Ernährung: „Ökologisch nachhaltig zu essen bedeutet, sich mit Mahlzeiten aus überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln zu ernähren. Eine solche Ernährungsweise besteht aus ökologisch, regional, saisonal und fair produzierten Lebensmitteln mit geringem Verarbeitungsgrad.“

Blicken wir über die Grenzen Deutschlands hinaus, dann kommt ein weiteres Problem in den Blick: die Ernährungsmöglichkeiten einer ständig steigenden Weltbevölkerung. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Erde ist begrenzt. Sie teilt sich in eine Fläche, auf der es möglich ist, Pflanzen für den direkten menschlichen Verzehr anzubauen, und eine andere Fläche, auf der Pflanzen gedeihen, die nur als tierische Nahrung genutzt werden können, Grasland, Steppe usw. Je nach Region macht diese Fläche bis zu 50% der jeweils überhaupt landwirtschaftlich nutzbaren Fläche aus. Würde man diese Fläche nicht für die Ernährung von Nutztieren verwenden, stünde eine Rückkehr zu überhaupt nicht mehr für Nahrungsgewinnung nutzbarer Verwilderung ins Haus. Insofern scheint die Nutzung als Grünland und damit zur Nutztierhaltung nicht nur für die Welternährung unvermeidbar, sondern auch hoch effizient, führt sie doch zu einer Nutzung aller für Lebensmittelgewinnung verfügbaren Flächen.

Liebe Veganer*innen, ich respektiere Eure/Ihre Entscheidung, auf tierische Lebensmittel vollständig zu verzichten. Hut ab, wenn ihr dies unter Beachtung des Weniger, der Regionalität und Saisonalität und des weitgehenden Verzichts auf Fertigprodukte und Lebensmittelverschwendung schafft. Respektiert ihr aber bitte auch diejenigen, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit andere Schwerpunkte setzen. Die durchaus Fleisch und Milch zu sich nehmen, aber möglichst reduziert. Die sich ansonsten vor allem dafür einsetzen, dass unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensweise den Nachhaltigkeitspfad einschlägt, nicht zuletzt um allen Menschen ein gutes Leben ohne Hunger und vielleicht sogar mit gelegentlichem Fleisch- oder Fischkonsum zu ermöglichen. Für eine nachhaltige Entwicklung würde das deutlich mehr bringen, als nur auf das eine Pferd des Veganismus zu setzen.