Solar radiation modification– was ist denn das schon wieder?

   Als interessierter Laie begegnet einem manchmal etwas, was in der jeweiligen Fachdisziplin seit längerem diskutiert wird. Man ist überrascht, manchmal verwirrt und versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. So ging es mir mit dem Begriff „solar radiation modification“, dem ich in einer großen deutschen Zeitung begegnete. Als Ökonom ist man eher kein ausgewiesener Klimaexperte, also forschte ich genauer nach. Hier meine Befunde.

 

 

  Viele werden sich erinnern: Insbesondere in Island brechen in schöner Regelmäßigkeit Vulkane aus, schleudern enorme Mengen an Rauch und Asche aus und behindern zumindest den Flugverkehr in der näheren Umgebung, manchmal sogar weltweit. Wohl am spektakulärsten waren die im Frühjahr 2010 zu beobachtenden tagelangen Ausbrüche des für uns zungenbrecherischen Vulkans Eyjafjallajökull, die erhebliche Schäden anrichteten und die Welt in Atem hielten. Weite Teile der Nordhalbkugel waren von großen Aschewolken überzogen, die vor allem den regulären Flugverkehr in erheblichem Umfang zum Erliegen brachten. Das Resümee der EU-Kommission: 100.000 gestrichene Flüge, 10 Mio. betroffene Fluggäste, Umsatzausfälle der Fluggesellschaften von etwa 2 Mrd. €.

 Derartige „Verdunklungen“ haben das Potential, die Temperatur in Erdnähe zu senken. So wird berichtet, dass der Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 mit einem Eintrag von 20 Mio. to Sulfate in die Atmosphäre im Jahr danach die globale Durchschnittstemperatur um etwa 0,5 Grad senkte. Für technikaffine Zeitgenossen sind daher Vulkanausbrüche vorbildhaft für das, was sie „Solar radiation modification“ nennen: für Technologien, die Erde abzukühlen und auf diese Weise den Klimawandel zu begrenzen.

 Bekanntermaßen funktioniert der globale Klimawandel wie ein Treibhaus. Der Eintrag klimarelevanter Gase wie Methan und CO2 in die Atmospäre spannt eine Schicht um die Erde, die Sonnenstrahlen durchlässt, Wärmeabstrahlungen der Erde jedoch bremst. Wenn eine künstliche Verdunklungsschicht aufgespannt würde, die gegen die Sonnenstrahlen abschirmt, heißt es, dann würde weniger Wärme hineingelassen und die Erde würde abkühlen. Problem gelöst! Ähnliche Überlegungen werden von anderen Verfechtern des Geoengineering ins Spiel gebracht: Nicht etwa die Emission von CO2 zurückfahren, sondern es im Erdinneren verpressen und speichern. Das nennt sich dann Carbon Capture and Storage (CCS) und soll ebenfalls das Weiter So ermöglichen.  

  Unter dem Begriff Solar radiation modification (SRM) werden verschiedene Technologien zusammengefasst, die auf eine Abkühlung der Erde abzielen. Am bekanntesten sind dabei die stratosphärische Aerosol-Injektion (SAI) und die Aufhellung von Meereswolken (Marine Cloud Brightening, MCB). Mit SAI wird versucht, das einfallende Sonnenlicht durch die Erhöhung der Aerosolkonzentration in der Stratosphäre zu streuen. Dazu sollen große Mengen an Aerosolpartikeln (z.B. Schwefeldioxid) in einen Bereich oberhalb von etwa 20 km eingebracht werden und dadurch eine reduzierte Sonneneinstrahlung bewirken. MCB zielt darauf ab, die Erde durch die Aufhellung der Reflektivität der niedrig hängenden und beständigen Wolkendecke über Teilen des Ozeans zu kühlen. Dazu werden zusätzliche Wassertropfen in die Wolken eingebracht, wodurch ihr Reflexionsvermögen erhöht wird.

 Eine dritte Technologie ist die Verdünnung von Zirruswolken (Cirrus Cloud Thinning, CCT). Sie soll die Menge der langwelligen Strahlung erhöhen, die die Atmosphäre verlässt, indem die dünnen, schleierartigen Zirruswolken ausgedünnt werden. Schließlich gibt es Vorschläge, die Reflektivität von Meeres- und Landoberflächen mit Hilfe von Weltraumschilden (oder Spiegeln) zu erhöhen und so ihr Rückstrahlvermögen zu steigern.

 Charakteristisch für die diversen Ansätze ist es bisher, dass sie wie viele andere Klimauntersuchungen allein in computergestützten Simulationsmodellen entwickelt und in ihren Folgen abgeschätzt wurden. So z.B. in einem der ersten derartigen Projekte, dem Geoengineering Model Intercomparison Project, in dem bereits seit 2011 verschiedene Szenarien von SMR modellhaft abgebildet und in ihren Auswirkungen einzuschätzen versucht wurde.

 Einigkeit unter den Experten besteht in der Konstatierung der Potentiale von SRM. Zudem wird z.B. die Machbarkeit des SAI nicht bezweifelt, könnte man doch von Militärjets aus Partikel in die Luft bomben und so das Sonnenlicht „dimmen“. Das wäre nicht einmal sehr teuer (etwa 30 Milliarden US-Dollar jährlich), müsste allerdings ständig wiederholt werden, da die Partikel von sich aus dazu neigen werden, auf die Erde zurückzufallen.

 Dann beginnen allerdings schon die Kotroversen. Die einen plädieren für die weitere Erforschung von SRM, andere warnen aufgrund der ungewissen, absehbar schädlichen Folgen eindringlich vor ihrer Entwicklung und praktischen Umsetzung. Letztere sollte keinesfalls vor dem Erlass klarer regulatorischer Rahmenbedingungen erfolgen. Denn es gibt Unsicherheiten hinsichtlich des Ausmaßes der Abkühlung und der weiterreichenden Auswirkungen auf verschiedene Klimasysteme. Gefürchtet werden schwer abschätzbare Veränderungen der Niederschlags- und Sturmmuster. Eine weitere Ungewissheit bezieht sich auf den möglichen Abbau des stratosphärischen Ozons, der sogar zu einer erhöhten (!) UV-Strahlung auf der Erdoberfläche führen könnte. Diese Ungewissheiten stellen nicht nur eine Herausforderung für die simulatorische Forschung dar, sondern können – praktisch umgesetzt – wegen nicht abschätzbarer geographischer Ausdehnung auch erhebliche politische Auswirkungen nach sich ziehen. So bestehen erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Modellprojektionen für die Wirksamkeit und die Risiken der verschiedenen SRM-Strategien. Daher könne es allenfalls darum gehen sich mit SRM etwas Zeit zu erkaufen um die Folgen des Klimawandels für etwa zwei Jahrzehnte zu lindern und parallel die klimaneutrale Transformation zu forcieren.

  Allerdings ist zu befürchten, dass einschlägige Interessengruppen in Wirtschaft und Politik den Verweis auf SRM nutzen, um die Bemühungen um eine rasche Dekarbonisierung zu stoppen: Technologieoffenheit sei allemal besser als Emissionsreduktion, wird argumentiert. Daher plädieren viele Wisenschaftler sogar für ein internationales Abkommen über die Nichtnutzung von SRM, um deren Entwicklung, Freilandversuche und Einsatz zu verbieten. Zumindest ein internationales Moratorium für den Einsatz von SRM sei unerlässlich. Allerdings wird auch auf den erheblichen Wissensmangel hinwiesen, der zu Unsicherheiten über die Wirksamkeit, Risiken und Kosten von SRM führt. Daher wird auch für mehr (auch staatlich finanzierte) Forschung plädiert und die Hoffnung geäußert, diese Forschung werde nachweisen, dass das Plädoyer für SRM als einfache Lösung des Klimawandel-Problems entkräftet werde.

  Es ist halt das alte Muster: Immer wieder werden Vorschläge aus dem Hut gezaubert, nach denen es möglich erscheint, ein „Weiter-So“ zu rechtfertigen, da es ja möglich sei, die ökologischen Probleme mit technologischen Innovationen zu lösen. Statt Energiesparen die umfassende Nutzung von Wasserstoff, statt weniger privatem Autoverkehr E-Mobilität, statt Reduzierung der CO2-Emissionen Geoengineering in Form von CCS und SRM. Einfach machen statt Vorsicht walten lassen und Verhalten zu ändern. Das klappt nicht oder nur um den Preis von erheblichen Risiken und dem Verzicht auf eine ehrliche Einschätzung der  zu erwartenden Technik-Folgen.

  Machen wir uns nichts vor: Hier sind wieder die vielgerühmten alten weißen Männer am Werk, die eigentlich ihr Schärflein längst im Trocknen haben, aber nicht loslassen können und verhindern wollen, dass sie ihre alten Technologien nicht werden vererben können, sondern einmotten müssen, wenn die menschlichen Lebensgrundlagen nicht nachhaltig beschädigt werden sollen. Aber es ist eben auch so, dass junge weiße Männer nachwachsen und die Parolen der Alten fortschreiben. Und leider nicht so, wie es der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt seinerzeit hoffte, als er sang, dass Vati nur noch nicht gemerkt hat, dass ihn keiner mehr ernst nimmt.