Unser kleines Land kann doch nichts ausrichten!

 

 

In Fernseh-Talkshows werden immer wieder die üblichen Verdächtigen eingeladen, ihre mehr oder weniger fundierten Meinungen kundzutun. Dazu gehören in den jeweiligen Themenbereichen stets nicht nur Experten, die sich tatsächlich mit den verhandelten Tatbeständen intensiv befasst haben. Um die Diskussionen zu befügeln, sind oft auch „Lautsprecher“ und „einfache Bürger“ dabei, die manchmal sattsam bekannte Ansichten zum Besten geben.

 

Neulich war ich Zuseher einer Talkshow zum Thema Klimawandel und begegnete dort einer Meinung, die auch andernorts immer wieder artikuliert wird: Wir als kleines Deutschland hätten doch eh‘ keine Chance, wirklich etwas gegen den Klimawandel auszurichten, solange die übrige Welt nach wie vor in Saus und Braus den Klimawandel befördert. Also sollten wir die Kirche im Dorf lassen und unseren Wohlstand nicht gefährden. Ist da was dran?

 

 

 

 

 

 

 

  Eines ist klar: der Klimawandel und die anderen Symptome der in Summe nicht nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise auf dieser Erde können nur zum Stillstand gebracht und repariert werden, wenn ein signifikanter Teil der Welt daran mitwirkt. Von den etwa 8,1 Mrd. Menschen, die derzeit auf der Erde leben und deren täglicher Zuwachs bei etwa 250.000 Menschen liegt,  sollte ein großer Teil einen nachhaltigen Lebenswandel führen, wenn die derzeitige Entwicklung umgekehrt werden soll. In Deutschland leben knapp 84 Mio. Menschen und die deutsche Bevölkerung wächst nur noch durch Zuwanderung. Die meisten Menschen leben in China mit knapp 1,5 Mrd., in Indien mit gut 1,4 Mrd., in den Staaten Afrikas mit ebenfalls etwa 1,4 Mrd., in Nordamerika mit etwa 600 Mio., Südamerika mit 450 Mio. und Russland mit knapp 150 Mio. Insbesondere die Bevölkerung in den sog. Entwicklungsländern wächst noch immer signifikant. Da fallen wir hier in Deutschland nicht wirklich ins Gewicht.

   Die Bevölkerungszahlen allein sagen aber nicht viel über Klima- und Umweltschädigungen. Denn der ökologische Fußabdruck, das heißt die Inanspruchnahme der natürlichen Ressourcen, ist auf der Welt sehr ungleich verteilt. Den größten ökologischen Fußabdruck haben reiche Länder, z.B. Luxemburg mit 13,09 gha pro Person, Katar mit 12,57 gha und Australien mit 8,8 gha. Den geringsten haben arme Länder, z.B. Burundi mit 0,63 gha pro Person, Haiti mit 0,61 gha und Eritrea mit 0,51 gha. (Zahlen von 2013)  1,6 gha pro Person verträgt die Erde. Es sind also überwiegend die Länder des globalen Nordens, die einen deutlich höheren Umweltverbrauch aufweisen, als ihnen unter Voraussetzung eines gleichen Zugriffsrechts für alle Erdbewohner zukommt. In den Ländern des globalen Südens mit hohen Bevölkerungszahlen beträgt der Pro-Kopf-Umweltverbrauch dagegen spürbar weniger als zulässig. Die Menschen dort leben also schon immer und bis heute nachhaltig.

  Auch die Durchschnittszahlen sind jedoch wenig aussagefähig. Denn es gibt nicht nur ein Gefälle zwischen Industrie- und Entwicklungs-Ländern, sondern auch zwischen Reich und Arm, national wie international. Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung (etwa 80 Mio. Menschen) wird im Jahr 2030, so die Aussage einer OXFAM-Studie, einen 30-mal größeren CO2-Fußabdruck (Zahlen über den aussagefähigeren ökologischen Fußabdruck liegen leider nicht vor) haben, als es mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius verträglich wäre. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung dagegen (etwa 4 Mrd. Menschen !) wird auch 2030 noch einen Fußabdruck haben, der deutlich unter diesem Grenzwert bleibt. 

 Dabei leben bei weitem nicht alle 80 Mio. Reichen (mit einem Jahreseinkommen über 172.000 US $) im globalen Norden. Etwa 23 Prozent von ihnen leben in China, 19 Prozent in den USA und ein 11 Prozent in Indien. Dieses reichste eine Prozent wird bis 2030 für 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen verantwortlich sein. Sie alle müssten ihre Treibhausgasemissionen im Vergleich zu heute bis 2030 auf die zulässigen 2,3 to beschränken, also um etwa 97 Prozent reduzieren, um die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zu ermöglichen.

  Die Studie betrachtet zudem die reichsten 10%, die mehr als 55.000 $ jährlich verdienen. Sie werden 2030 noch 9mal mehr Umwelt in Anspruch nehmen, als für das definierte Klimaziel zulässig ist. Zu diesem reichsten Dezil der Weltbevölkerung gehören natürlich auch einige Bewohner Deutschlands, nämlich fast genau die reichsten 10% der Deutschen.  Weltweit und auch in Deutschland müssten also vor allem die Reichsten ihr Verhalten spürbar ändern, damit die Klima- und Nachhaltigkeitsziele, die z.B. im Pariser Klimaabkommen verbindlich vereinbart wurden, erreicht werden.

  Zwischenfazit: Es sind aktuell weltweit nur 80 Mio. Menschen, die einen richtig großen Umweltverbrauch haben. Weitere 720 Mio. könnten auch noch viel beitragen, die ärmere Hälfte der Menschheit dagegen leidet zwar oft deutlich stärker unter dem Raubbau an der Natur als wir in Europa, trägt aber praktisch nicht dazu bei, sondern verbraucht auch heute bereits deutlich weniger Umwelt als zulässig und gerecht wäre.

 Zwei weitere Aspekte der Auffassung, wir wenigen Deutschen können die Welt nicht retten, müssen noch diskutiert werden: die bisherige historische Entwicklung und die wirtschaftlichen Aspekte, die mit einer schnellen Wende zur Nachhaltigkeit verbunden sind.

  Zunächst zur Geschichte. Auch wenn die Menschheit spätestens seit ihrer Sesshaftigkeit die Natur nach ihren Interessen zurichtet  und dabei in ihren Funktionszusammenhängen behindert, fallen die gravierendsten Umweltschädigungen in die Zeit während und nach der sog. Industriellen Revolution. Sie fand ausgehend von Großbritannien in Europa statt. Wir Europäer, auch wir Deutschen, hatten also bereits ein gerüttelt Maß an Umweltschädigungen vollbracht, bevor sich andere Länder und Kontinente erst daran machten, es uns nachzutun, fossile natürliche Ressourcen auszubeuten und energiefressende Maschinen die Arbeit machen zu lassen, die bis dahin von Hand erledigt wurde. Mindestens 200 Jahre der Nutzung endlicher natürlicher Vorräte und entsprechenden Emissionen von Schadstoffen haben die Industrieländer, allen voran Europa und die USA, also der übrigen Welt voraus. Zwar steigt inzwischen der Umweltverbrauch vor allem der sog. Schwellenländer deutlich stärker als derjenige in den Industrieländern, tatsächlich haben Europa und die USA aber einen erheblichen Vorsprung. Wenn wir hier in Europa nicht zeigen, dass ein gutes Leben auch unter Vermeidung übermäßiger Ressourcennutzung und Schadstoffemission erreicht und gesichert werden kann, wird dieser Vorsprung zum Nachteil gesamten Welt allerdings schnell aufgebraucht sein.

  Das führt zum nächsten, zum wirtschaftlichen Aspekt der Sache. Auch wenn die Unterschiede nicht mehr erheblich sind: Deutschland verfügt mehr als viele andere Länder über das wissenschaftliche Knowhow und die Technik für eine wirksame Entkopplung von wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltverbrauch. Wesentliche Technologien wurden hier entwickelt und erprobt. Wir können Windkraft und Solartechnik. Es war ein Fehler, dass Wirtschaft und Politik aus kurzsichtigen Gründen vieles davon aus der Hand gegeben haben. Denn hier sind wir bereits von China abgelöst worden. Wir können aber auch wasserstoffbasierte Stahlerzeugung, wir können bauen ohne Beton usw.  Wir können anspruchsvolles Recycling, auch wenn in der Praxis noch Luft nach oben ist. Wir haben nicht zuletzt viele Start-ups, die ökologische Gesichtspunkte ins Zentrum ihres Geschäftsfelds rücken und die damit erfolgreich sind. Nicht nur die globalen ökologischen Überlebensperspektiven, auch unsere wirtschaftliche Zukunft hängt also stark davon ab, dass gerade uns die – heute als unbezahlbar anmutenden – diversen Nachhaltigkeitswenden gelingen. Damit könnten wir unsere Vorbildrolle für die Entwicklung auf der übrigen Welt endlich im Sinne der Nachhaltigkeit wahrnehmen.

  Wir könnten viel bewirken und sollten das im wohlverstandenen eigenen Interesse auch schleunigst tun. Denn es gibt weitgehend unbemerkt von der globalen Öffentlichkeit durchaus Länder, die im Bereich der nachhaltigen Entwicklung schon wesentlich weiter fortgeschritten sind als wir, ohne großes Aufhebens zu machen. Bhutan  und Ecuador  sind zwar beides arme Entwicklungsländer, die aber ohne zu fragen, ob andere ihnen folgen, Beispiele gesetzt haben, wie eine Nachhaltige Entwicklung in Angriff genommen und zum Nutzen aller verfolgt werden kann. Sie sichern der Natur eigene Rechte zu, haben eine komplett nachhaltige Energieversorgung und stellen ein auskömmliches glückliches Leben trotz niedrigen materiellen Wohlstands klar über wirtschaftliches Wachstum. Da sollten wir nicht behaupten, dass unsere Nachhaltigkeitsbemühungen weltweit eh nichts bringen, außer uns Wohlstandseinbußen zu bescheren. Das Gegenteil ist der Fall.