Geht es wirklich nur über den Geldbeutel?

 Jetzt hat der Kriegsherr den Gashahn ganz zugedreht und die politischen Bemühungen der Ampel-Regierung in Berlin, gut über den Winter zu kommen, überschlagen sich geradezu. Neben den krampfhaften Versuchen, irgendwo anders auf der Welt neue Quellen für fossile Energieträger zu erschließen, rückt das Sparen von Energie immer mehr in den Vordergrund. Für den Bürger auch deshalb, weil im Gefolge von Pandemie und Ukraine-Krieg außer Energie praktisch auch alle anderen Güter erheblich teurer geworden sind. Dabei gibt es seit langem (das Club-of-Rome-Buch „Die Grenzen des Wachstums“ erschien vor 50 Jahren, 1972!) eine Fülle von Gründen dafür, vor allem in Europa und in den anderen Industrieländern den Gürtel enger zu schnallen. Erst heute, wo das Weiter-So spürbar an den Geldbeutel geht, kommen viele in die Gänge.

 

   In meinem aktiven Berufsleben habe ich u.a. Kurse gegeben für Ingenieure, die sich als Energieberater weiterbilden wollten, weil sie eine berufliche Tätigkeit im Bereich umweltgerechtes Bauen und Sanieren anstrebten. Dabei war es notwendig, den Studierenden auch die betriebswirtschaftlichen Methoden der Investitionsrechnung nahezubringen, mit denen man ausrechnen kann, ob und in welchem Zeitraum z.B. die Anschaffung einer modernen Heizungsanlage oder die Dämmung eines Hauses „sich rechnet“. Ich habe mich stets bemüht, dabei auch die Grenzen der monetären Rechenbarkeit von derartigen Investitionen herauszuarbeiten und vor allem zu betonen, dass es außer der finanziellen Dimension auch noch viele andere Gesichtspunkte gibt, die bei Anschaffungsentscheidungen eine Rolle spielen sollten, z.B. Gesichtspunkte des persönlichen Wohlfühlens sowie soziale und Umweltaspekte.

  In einer Marktwirtschaft muss derjenige, der sich ein neues Gut verfügbar machen oder eine Aktivität in Angriff nehmen will, in der Regel dafür Geld ausgeben. Denn für Marktmenschen ist vieles nur mit Geld machbar. Außer dass Güter Geld kosten, haben sie aber noch viele andere Merkmale. Eine Heizung z.B. kostet je nach Technologie unterschiedlich viel Geld, benötigt unterschiedliche Brennstoffe und unterschiedlich viel Platz im Haus, stößt keine oder mehr oder weniger schädliche Abgase aus usw. usw. Wer sich für eine bestimmte Heizung entscheidet, tut dies in der Regel nicht allein nach finanziellen Gesichtspunkten. Trotzdem werden diese oft aber als vorrangig bedeutsam angesehen, leider auch von vielen Energieberatern. Geld wird so zum Obergutachter über das Leben.

  Wer ein neues Auto kaufen möchte, hat wie der Heizungskäufer ebenfalls die Qual der Wahl. Hier ist aber oft der Preis weniger bedeutsam. Andere Merkmale spielen eine deutlich größere Rolle. Denn mit dem Auto dokumentiert der Käufer, wer er sein möchte, wie er sich im Verhältnis zu seinen Mitmenschen platziert und nicht zuletzt auch, was er „geil“ findet. Noch deutlicher ist das bei der Kleidung. Manche Menschen sind  sogar bereit, viel mehr zu zahlen, als sie sich eigentlich leisten können. Aber es muss schon jede Saison was Neues sein. Und bei manchem Hobby kann die Ausrüstung gar nicht teuer genug sein.

  Würde bei Käufen nur die Vernunft eine Rolle spielen, dann fänden viele Konsumentscheidungen nicht so statt, wie sie es in Wirklichkeit tun, nämlich zu einem hohen Anteil von Geld allein oder eben von Gefühlen und Gewohnheiten gesteuert. Bei Entscheidungen von geringer Reichweite dürfte man sich von Zeit zu Zeit ruhig einmal fragen, wo das ganze Geld geblieben ist. Man darf seine Gefühle und Gewohnheiten überprüfen und vielleicht sogar ändern. Bei Entscheidungen größerer Reichweite dagegen dürfte man sich auch mal fragen, was und wem nützt und was und wem schadet es, wenn ich dies oder jenes kaufe. Man darf neben dem Preis auch andere Entscheidungsfolgen berücksichtigen.

  In jüngerer Zeit ist immer deutlicher geworden, dass wir Industrielandbewohner unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit in großem Umfang über unsere Verhältnisse leben. Der ökologische Fußabdruck eines Amerikaners oder eines Deutschen ist so groß, dass es mehrere Welten bräuchte, wenn alle Menschen so leben würden wie sie.  Wir könnten also seit langem wissen, dass es dringend nötig ist, von allem weniger zu verbrauchen, von Energie aus fossilen Ressourcen, von anderen fossilen Rohstoffen, aber auch von nachwachsenden Ressourcen, weil die Verfügbarkeit von nutzbaren Anbauflächen begrenzt ist. Und wir könnten wissen, dass es nicht zuletzt unsere Kaufentscheidungen sind, die unseren Fußabdruck bestimmen und den Klimawandel beschleunigen oder verlangsamen.

  Aber was machen wir tatsächlich? Einige essen weniger oder gar kein Fleisch. Oder verzichten, soweit es geht, auf Plastikprodukte, fahren mit dem Fahrrad oder Öffis, verzichten auf Flüge und Kreuzfahrten usw. Für sie ist Nachhaltigkeit eine ernste Herausforderung, auch wenn sie sich oft schwertun, wirkliche Nachhaltigkeitsbemühungen und Greenwashing zu unterscheiden.

  Neuerdings haben diese Nachhaltigkeits-bewussten Menschen Mitstreiter bekommen. Auch sie heizen und duschen jetzt weniger, fahren weniger Auto und nutzen das 9-Euro-Ticket. Und warum? Weil sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen und dabei auch noch Geld sparen? Denkste, sondern allein weil Gas, Heizöl und Sprit heftig teurer geworden sind, der Nahverkehr dagegen von Juni bis August nur noch kleines Geld kostete. Und wenn das Nachfolgeangebot für 59 € im Monat kommen sollte, was dann? Dann wird es wieder zu teuer sein für die meisten, möchte ich wetten.

  Egal, könnte man sagen, Hauptsache es wird weniger von all dem verbraucht, was der Nachhaltigkeit zuwider läuft. Wenn da nicht die Erwartung wäre, dass – einmal vorausgesetzt, Energie würde wieder billiger – ganz schnell wieder von allem mehr verbraucht würde. Gespart wird nur am Geld. Oder?

 Es gibt da allerdings auch andere Beobachtungen: Z.B. die „sportlichen“ Autofahrer. Auch sie könnten Sprit und Geld sparen, indem sie einfach langsamer fahren.  Tun sie aber nicht. Manche beschleunigen noch kurz vor der roten Ampel. Oder Menschen, die trotz schmalen Geldbeutels nicht für sich und ihre Familien kochen. Dabei ist es ohne weiteres möglich, schmackhafte und gesunde Gerichte für unter 5 € zu kochen.  Man kann es sogar für noch weniger Geld schaffen.  Bei McDonalds ist es allemal teurer, vom Gesundheitswert ganz abgesehen. Leider ist nicht nur die Selbstkoch-Neigung sondern auch die entsprechende Fähigkeit immer weniger verbreitet.

 Einerseits ist Geiz geil, so dass vieles eigentlich nichts kosten darf, so z.B. heizen, Gesundheit, Bildung. Andererseits wird Geld bewusst oder gedankenlos buchstäblich verbrannt. Für Klimaschutz, Natur- oder Artenschutz mehr Geld ausgeben, das kommt für viele schon gar nicht infrage. So aber wird das nichts mit der Nachhaltigkeit.

  Ich meine, wir sollten den Sparzwang, der den meisten von uns jetzt durch die Pandemie, gestörte Lieferketten und vor allem durch Putins Krieg aufgezwungen wird, zum Anlass nehmen, zum einen unser verbliebenes Geld nicht sinnlos auszugeben, anderseits aber bei allem Geldsparen nicht vergessen, was das auf der qualitativen Ebene anrichtet. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten muss nicht an Geld, sondern vor allem an nicht-erneuerbaren Gütern gespart werden. Zudem muss der Verbrauch von nachwachsenden Gütern der Flächenverfügbarkeit angepasst und der Eintrag von synthetischen Stoffen in die Natur erheblich reduziert werden. Wir dürfen Geld nicht zum Herrscher über unser Leben machen, sondern müssen unseren Blick auf die qualitativen Lebensgrundlagen richten, die überall nur begrenzt zur Verfügung stehen und die wir sparsam nutzen müssen, auch wenn es Geld kostet. Das gilt erst recht, wenn wir allen Menschen auf dieser Welt die gleichen Lebensperspektiven zuerkennen wollen. Und dazu gibt es ja wohl keine Alternative.