Selbst Lebensmittel anbauen.

 

 

 

  Neulich erfuhr ich von einer Familie, die sich bemüht hat, 4 Wochen lang nachhaltig zu leben, also zu versuchen, möglichst wenig Natur in Anspruch zu nehmen oder gar zu schädigen. Sie haben auf die Nutzung des Autos verzichtet, wollten überwiegend regionale Lebensmittel kaufen und auch nicht in den Urlaub fliegen, sondern mit dem Zug fahren.

 Dabei stießen sie auf viele Schwierigkeiten, u.a. auf eine, die sie gar nicht erwartet hatten. Als sie nämlich versuchten, im Supermarkt regionales Gemüse und Obst zu kaufen: Die Herkunft einiger Produkte war gar nicht ersichtlich. Die meisten Produkte stammten aus Spanien, Italien oder aus Übersee. Irgendwo gab es auch einige regionale Gemüsesorten. Gar nicht so leicht, das nachhaltige Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft. Aber Lebensmittel aus der Region zu bekommen, das geht und kann sogar Spaß machen, wenn man sich praktisch daran beteiligt.

 

 

 

 

 

  Die meisten von uns kaufen ihre Lebensmittel, auch Gemüse und Obst, im Supermarkt, zumindest wenn sie in der Stadt wohnen. Vieles davon ist in Plastik verpackt, einiges immerhin lose. Tomaten aus Holland oder Spanien, Avocados aus Lateinamerika, Paprika aus Italien, Äpfel und Kivis aus Neuseeland. Exotische Früchte, aber auch Erdbeeren und Orangen ganzjährig aus aller Welt. Das macht es uns möglich, immer aus dem Vollen zu schöpfen. Aber es entmündigt uns auch. Wenn immer alles verfügbar ist, geht das Wissen darüber, was wann wo wächst, zusehends verloren. Wir wissen nicht, von wem diese Produkte unter welchen Bedingungen angebaut und geerntet werden und schon gar nicht, welchen ökologischen Fußabdruck sie haben.

  Große Händler wie Edeka und Rewe allerdings positionieren sich zunehmend damit, regionale Produkte anzubieten und auch darüber hinaus ihren Kunden vielfältige Tipps für nachhaltigen Konsum zu geben. Sie bieten Mohrrüben und Kartoffeln aus dem näheren Umgebung, saisonale Angebote aus der Region. Und sie stellen ihre landwirtschaftlichen Lieferanten und deren Betriebe online vor. Wie viele Kund*innen das zur Kenntnis nehmen und beim Einkauf beachten, ist nicht bekannt. Nur Reklame?

  Aber Skepsis beiseite: Wir müssen nicht warten, bis uns die Supermärkte mit nachhaltigen Lebensmitteln versorgen, bei Gemüse, Fleisch und Früchten und sogar bei Eiern, Milch und Fleisch. Wir können selbst etwas tun.

  Es beginnt damit, unser Wissen aufzufrischen. Wie ist das mit dem Wachsen und Werden von Lebensmitteln? Wann kann welches Gemüse geerntet werden? Was wächst überhaupt in der Region, in der wir leben? Wie sieht es mit der Lagerfähigkeit verschiedener Sorten aus? Irgendwann in der Schule haben wir das sicher gelernt. Die meisten Städter allerdings, wenn sie nicht gerade Kinder von Kleingärtnern sind, haben es relativ schnell wieder vergessen. Im Supermarkt gibt es ja so gut wie immer alles. Warum also darum kümmern?

  Aber keine Angst, ich will niemanden wieder auf die Schulbank zurückschicken. Am besten lernt man beim praktischen Tun. Und das ist es, wozu ich anregen möchte: zumindest einen Teil der Lebensmittel selbst anzubauen, wo immer es möglich ist und Spaß macht.

  Man kann auf dem eigenen Balkon anfangen. In Töpfen oder Balkonkästen lassen sich eigene Kräuter und sogar Tomaten und Erdbeeren ziehen. Das beschert Erfolgserlebnisse und wohlriechende und -schmeckende Esszutaten. Aber so richtig Gemüse- oder Obstanbau ist das natürlich noch nicht. Die meisten Mietwohnungen haben zudem keine wirklich großen Balkone, die halbwegs gute Bedingungen für das Planzenwachstum bieten.

  Also hinaus aus dem Haus. In vielen städtischen Quartieren gibt es sie schon: Gemeinschaftsgärten. Nachbarn tun sich zusammen, finden eine nutzbare Fläche in der Nähe, verständigen sich über das Konzept und fangen an. Jede/r bringt ihre/seine Fähigkeiten und Zeit ein und schon wachsen, blühen und gedeihen die gemeinsam angebauten Gemüse, Obstsorten und Blumen. Wenn keine unversiegelten Flächen gefunden werden, können Hochbeete helfen, deren Pflege auch älteren und bewegungseingeschränkten Menschen anvertraut werden kann, deren Zeitbudget großzügiger bemessen ist. Wer sich vorstellen kann, in ein bestehendes Projekt einzusteigen, findet im Netz eine bundesweite Karte.

  Noch einen Schritt weiter: In inzwischen größerer Zahl haben sich Projekte der Gemüseselbsternte entwickelt. Hier gibt es, wie im Beipiel der Domäne Frankenhausen bei Kassel. Zumeist professionelle Initiatoren, die ein Feld zur Verfügung stellen und mit verschiedenen Gemüsesorten bepflanzen. Quer zu den Pflanzreihen werden Parzellen abgeteilt, die einzelnen Nutzern zur Verfügung stehen und von diesen betreut und beerntet werden können. Jeder Nutzer bekommt damit die komplette Vielfalt der gepflanzten Sorten, muss aber nicht selbst säen oder pflanzen, sondern nur pflegen und ernten. Dafür wird ein finanzieller Beitrag für die Bereitstellung der Fläche und des Saatguts entrichtet. Einen Überblick liefert die Seite des Bundeszentrums für Ernährung.  In diesem Konzept mischen sich Eigenarbeit der Nutzer mit Fachkomptenz und Anleitung professioneller Betreiber. Durch die Vielfalt der angebauten Sorten und die Saisonalität des jeweils verfügbaren Gemüses wird der häusliche Speiseplan vom Kopf auf die Füße gestellt: Immer öfter wird gegessen, was das Feld gerade hergibt. Meine Frau und ich haben dieses Angebot einige Jahre genutzt und sehr viel Freude damit gehabt.

  Früchte werden in der Gemüseselbsternte in der Regel nicht angebaut. Für sie gibt es Möglichkeiten der Nutzer-Mitwirkung in Form von Patenschaften. Hier zwei Beispiele:

 Auf der Seite von Crowdfarming stellen sich viele europäische Bauern als Vermittler einer „Adoption“ von Bäumen, Tieren oder Flächen zur Verfügung, die von Käufern wahrgenommen werden können. Für einen bestimmten Betrag werden die von den Adoptierten bereitgestellten Lebensmittel per Paket an die Nutzer versandt.

  Ein ähnliches Projekt stellt die Apfelbaumpatenschaft dar. Auf dieser Seite bieten 4 Obsthöfe aus 4 Bundesländern die Patenschaft an einem Apfelbaum an, die zur Ernte der an diesem Baum gewachsenen Äpfel berechtigt. 20 kg werden garantiert und können sowohl selbst geerntet als auch per Versand bestellt werden. Auch so lassen sich die Beziehungen zu den konsumierten Lebensmitteln enger gestalten als im Supermarkt, wenngleich wegen der größeren räumlichen Distanz eine regelmäßige Mitwirkung der Nutzer kaum gegeben sein dürfte. Dies lässt sich nur über regionale Nähe bewerkstelligen. Da hier oft einzelne regionale Anbieter unterwegs sind, müssen Interessent*innen sich in ihrer Umgebung umsehen.

  Eine weitere Form der Beteiligung von Konsumenten an der Lebensmittelherstellung ist die Solidarische Landwirtschaft (Solawi).  Hier bezieht sich die Mitwirkung der Nutzer vor allem auf die Finanzierung und die Risikoübernahme. Gekauft wird ein Paket Landwirtschaft, nicht ein bestimmtes Produkt. Die Solawi-Mitglieder zahlen einen monatlichen Festbetrag, der auf Grundlage der Kosten vorab geschätzt wird. Damit garantieren die Konsumenten den Betrieb und die Erzeugung und werden entgolten über wöchentliche Lieferungen derjenigen Sorten, die saisonal verfügbar sind. Dazu können sich die Kunden zumeist die von ihnen gewünschten Produkte aus einer vom Betrieb erstellten Liste selbst zusammenstellen. Erzeuger wie Konsumenten profitieren und tragen solidarisch den jeweiligen Betrieb bzw. einen Teil der Lebensmittelversorgung der Nutzer. Neben pflanzlichen Produkten werden je nach Betrieb Eier, Milch, Käse und Fleisch angeboten. Auch die praktische Mitwirkung der Kund*innen auf dem Betrieb ist zum Teil möglich und erwünscht. Wer eine Solawi in der Nähe sucht, findet sie im Netz.

  Eine spezielle Form der gemeinschaftlichen Beschaffung von Lebensmitteln, hier von Fleisch, ist das sog. Crowdbutching.  Hier beschaffen sich Verbraucher Fleisch, das sie jedoch erst bekommen, wenn das gesamte Fleisch eines Tieres bestellt wurde. Dann wird geschlachtet und verteilt. Gekauft werden können oft nur Pakete, die eine Mischung der Fleischsorten des jeweiligen Tiers enthalten. Die Bestellung erfolgt zumeist über das Internet. Lieferanten sind kleinere landwirtschaftliche Betriebe, die für artgerechte Aufzucht und Haltung Gewähr übernehmen. So wird Massentierhaltung reduziert und beim Verbraucher Verständnis dafür geweckt, dass auch solche Teilstücke, die nicht so häufig nachgefragt werden, verwendet werden müssen. Die Erzeuger haben den Vorteil, bessere Preise erzielen und das komplette Tier vermarkten zu können.

  Im Fall des Crowdbutchings ist die Eigenleistung der Nutzer wiederum recht eng begrenzt und nur noch graduell vom Kauf beim lokalen Metzger (nicht im Supermarkt!) unterschieden. Vor allem dadurch, dass man die bestellte Ware oft auch beim Erzeuger abholen kann, kann aber doch Nähe zur Landwirtschaft geschaffen werden, die man im Supermarkt längst verloren hat.

  Insgesamt haben die dargestellten Varianten der Verbraucher-Mitwirkung an der Lebensmittelproduktion den großen Vorteil, dass sie wieder persönliche Bezüge herstellen zwischen den Menschen, die Lebensmittel verzehren oder den Erzeugern dieser Lebensmittel. Besonders für Familien mit Kindern ist das von großem Nutzen. Die Anonymität des Marktes macht Nähe zwischen Erzeugern und Verwendern unmöglich. Sie behindert auch die Möglichkeiten der Nutzer, auf die Erzeugung der Lebensmittel Einfluss zu nehmen, außer durch die Entscheidung, dieses oder jenes Lebensmittel zu kaufen oder eben nicht zu kaufen.

  Naturgemäß wird dabei nur ein mehr oder weniger kleiner Teil des Lebensmittelverbrauchs eines Haushalts über einen Gemeinschaftsgarten, eine Patenschaft oder eine Solawi abgedeckt. Vieles muss nach wie vor beim Händler gekauft werden. Da aber sowohl fast alle dargestellten Beteiligungsformen überwiegend nach ökologischen Gesichtspunkten betrieben werden, sind diese Betätigungsfelder auch ein praktischer Beitrag zur Ökologischen Landwirtschaft und schaffen Einblicke darin, dass diese Variante der regionalen Landwirtschaft ein wichtiger Bestandteil der Ernährungswende ist.

  Nachhaltigkeit ist durch persönliche Beziehungen weit besser auf den Weg zu bringen als durch Marktnachfrage. Wenn das gegessen wird, was man gerade selbst oder bekannte Menschen aus der Umgebung gemeinsam erzeugt haben, wird auch das Weniger leichter, denn es entsteht die Einsicht in die Werthaftigkeit unserer Nahrungsmittel, die sich beim Piepen der Supermarktkasse nicht mehr einstellt. Ganz gewiss wird dadurch die Menge der genießbaren Lebensmittel, die auf dem Müll landet, erheblich reduziert. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung.