Wie die neuen Nazis über Nachhaltigkeit reden.

 

  Spätestens seit die Journalisten von Correctiv ein Geheimtreffen von AFD-Mitgliedern, anderen Neonazis und Unterstützern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft öffentlich gemacht und die dort diskutierten Pläne zu massenhaften Deportationen „nicht-arischer“ Landsleute publiziert haben, scheint Deutschland aufzuwachen. Millionen Menschen gehen auf die Straße um zu zeigen, dass sie das Erstarken und die wachsende Unverfrorenheit der neuen Rechten nicht hinnehmen werden. Es ist schlicht abdsurd, dass immer noch Wahlberechtigte der Meinung sind, sie sollten der Politik der demokratischen Parteien einen Denkzettel verpassen, indem sie dieser Partei ihre Wahlstimme bei der Europawahl oder den 2024 anstehenden Landtagswahlen geben.

  Nachhaltigkeit steht naturgemäß nicht im Zentrum ihres Denkens und Handelns. Aber auch der Blick in die nachhaltigkeitsbezogenen Auslassungen der AFD zeigt, wes Geistes Kind diese Partei und ihre Führungskräfte sind.

 

 

 

 

 

  Parteiprogramme sind nicht gerade die Lieblingslektüre der meisten Wahlberechtigten. Sie zu lesen ist mit einigem intellektuellen und zeitlichen Aufwand verbunden. Zudem werden sie nur allzu oft allenfalls zu Teilen in praktische Politik umgesetzt, selbst wenn die Parteien nach der Wahl Regierungsverantwortung übernehmen. Oft muss auf Koalitionspartner Rücksicht genommen werden. Nicht selten aber ist auch das politische Gedächtnis recht kurz und man handelt nach dem Motto „Was kümmern mich meine Äußerungen von gestern.“

  Wer sich aber wirklich dafür interessiert, was die Grundhaltung der zur Wahl stehenden Parteien in bestimmten Fragen ist, kommt gar nicht darum herum, die schriftlich niedergelegten und auf Parteitagen beschlossenen Programme zu studieren. Schauen wir also näher hin, was die AFD in ihrem Grundsatzprogramm für Deutschland und in ihrem Programm zur Europawahl 2024 zum Thema dieses Blogs, zur Nachhaltigkeit des Lebens und Wirtschaftens zu sagen hat.

   Das Grundsatzprogramm umfasst 14 Punkte. Expliziten Bezug zum Thema Nachhaltigkeit haben die Punkte 12 und 13, die sich mit Energiepolitik sowie Natur- und Umweltschutz, Land- und Forstwirtschaft befassen. In der Präambel gibt sich die Partei als demokratisch, freiheitlich-konservativ, der Menschenwürde und dem Christentum verpflichtet. In den inhaltlichen Kapiteln zeigen sich die Auffassungen und politischen Vorhaben jedoch als polarisierend, menschenverachtend und die wirklichen Problemstellungen populistisch vereinfachend.

  Denn schon in den direkt nachfolgenden Ausführungen über Demokratie und Grundwerte wird das Verschwörungsnarrativ gegenüber den anderen sog. „Alt“-Parteien angestimmt. Hier habe sich eine kleine machtvolle Gruppe von Berufspolitikern den Staat und das Volk unterworfen, ein politisches Kartell sitze an den Schalthebeln der Macht und halte „die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen.“ Wirklich? Für die Bundesrepublik ernsthaft von gleichgeschalteten Medien (von BILD bis TAZ, von RTL 2 bis Arte, Antenne bis Deutschlandfunk) zu sprechen, ist gelinde gesagt ziemlich unverfroren.

  Zudem sind nach Ansicht der AFD große Teile der politischen Autonomie Deutschlands bereits an die EU abgegeben worden. Daher müsse Deutschland aus der EU austreten, um nationale Eigenständigkeit zurückzugewinnen. Denn die derzeitige zentralistische Struktur der EU sei ebenfalls zutiefst undemokratisch und als Transferunion von Bürokraten beherrscht.

  Bereits an diesen wenigen Beispielen wird das populistische Prinzip deutlich. Die AFD benennt Probleme, die in den Medien breit diskutiert worden sind und daher für die Wähler halbwegs präsent sind. Dann werden einfache Lösungen präsentiert, von denen es heißt, sie würden derzeit nur durch das herrschende Politik-Kartell verhindert, obwohl sie alle Probleme in einem Schlag lösen würden. Dass auch eine mit absoluter Mehrheit ausgestattete AFD Regierung diese „Lösungen“ nicht einfach wird umsetzen können, wird nicht erwähnt.

 Beispiel „Remigration“. Davon redet die AFD nicht erst seit jenem konspirativen Geheimtreffen, das jetzt die Bevölkerung aufwachen lässt. Möglichst wenige reinlassen und viele, die bereits drin sind, wieder rauswerfen. Das geht nicht wirklich einfach, weil sowohl praktische wie politische Hindernisse im Wege stehen, von ethischen einmal ganz abgesehen. Die Heimatländer sind zumeist nicht zur Rücknahme bereit, abgesehen davon, dass diese wegen fehlender Pässe oft nicht zu ermitteln sind.

 Beispiel EU-Austritt. Hier könnte Deutschland mit allen Konsequezen nachahmen, was die Briten vorgemacht haben, aber auch mit den dort zu beobachtenden Folgen. Einbruch der Wirtschaft, in Deutschland vermutlich noch erheblich gravierender als in GB. Chaos am Arbeitsmarkt, wo viele Tätigkeiten heute fast nur noch von Migranten ausgeübt werden. Zum Ausgleich für den dann drohenden Arbeitkräftemangel will die AFD die Rückkehr der Frauen zu Hausarbeit und vielfacher Mutterschaft durchsetzen.

  Das Muster wiederholt sich bei den Themen Innere Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, Familienpolitik, Kultur- und Medienpolitik. Immer wieder werden tatsächlich bestehende Probleme angesprochen, aber „Lösungen“ angeboten, die sie vermutlich eher verschlimmbessern. Kommen wir also auf den Umgang mit Nachhaltigkeitsfragen zu sprechen.

  Weil es überwiegend die mediendiskutierten Themen sind, an die die Partei programmatisch anknüpft, wird das Nachhaltigkeitsthema weitgehend auf Energiepolitik und Klimaschutz reduziert. Hier will die AFD „Schluss mit der ‚Klimaschutzpolitik‘ machen, Schluss mit den Plänen zur Dekarbonisierung und Transformation der Gesellschaft.“ Das heißt auf deutsch: Weiter so wie unter Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder Angela Merkel, nur jetzt mit echt kernigem Personal wie Alexander Gauland(„Vogelschiss“), Björn Höcke(„Denkmal der Schande“) oder dem EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah („Echte Männer sind rechts", "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“).

  Die Erde habe immer wieder Kalt- und Warmzeiten erlebt und überlebt und CO2 sei keineswegs ein Schadstoff. Die „geplante zwangsweise Senkung der CO2-Emissionen um mehr als 85 Prozent würde den Wirtschaftsstandort schwächen und den Lebensstandard senken.“ Also weg damit. EEG abschaffen, staatliche „Bevormundung“ der Hauseigentümer beenden, Biogasanlagen abschalten, Kohleverstromung mindestens solange erhalten, bis genügend Atomkraftwerke wieder aufgebaut sind.

  Und die anderen Nachhaltigkeitsprobleme? Plastikmüll in Flüssen, Seen und Meeren? Artensterben? Endlichkeit der fossilen Ressourcen? Sucht man vergeblich. Stattdessen: Kein Tempolimit auf den Straßen, keine „zwangsweise Verlagerung“ vom privaten zum öffentlichen Verkehr, Ausbau der Windenergie stoppen usw. Generaltenor: der Staat macht es nur schlimmer, der Markt wird alles richten.

  Im EU-Wahlprogramm, das deutlich aktueller ist als das 2016 verabschiedete Grundsatzprogramm, finden sich ganz ähnliche Positionen wie dort. Die EU und ihre Organe (Rat, Kommission und Parlament) werden als bürokratische und undemokratische Fehlkonstruktionen und der Euro als ökonomisch schädlich charakterisiert, die es abzuschaffen und durch einen „Bund Europäischer Nationen“ und die Rückkehr zu nationalen Währungen zu ersetzen gelte. Zudem müssten die europaweite Freizügigkeit und die Migration nach Europa erheblich reduziert werden, da sie vielfach als Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme mißbraucht werde und die Kriminalität massiv erhöhe. Europa müsse zur Festung mit dichten Außengrenzen umgebaut werden.

 Klima-, Energie- und Nachhaltigkeitspolitik (sofern eine solche überhaupt erkennbar ist) werden wie im Grundsatzprogramm überwiegend dem Markt überantwortet: Keine staatliche CO2-Bepreisung, kein Tempolimit, keine Kerosinsteuer, sondern Abschaffung der Luftverkehrssteuer, Abschaffung aller Klimaschutzgesetze und aller EU-Initiativen wie „Green Deal“, „Fit für 55“, kein Ausbau von Windkraft und Photovoltaik. Artenschutz nur als Schutz der Vögel vor Windkraftanlagen, kein Verbot von Verbrennermotoren für Autos. „Seitdem Menschen in Europa siedeln, haben sie sich immer an Klimaveränderungen angepasst. Auch heute ist Anpassung der einzig mögliche Umgang mit Klimaveränderungen.“

  Das ist wirklich so daneben, dass ich mich nicht veranlasst sehe, eine Gegenargumentation aufzubauen. Wer z.B. Klimaveränderungen binnen Jahrtausenden mit Klimaveränderungen binnen Jahrzehnten gleichsetzt, dem ist argumentativ nicht beizukommen. Wer die grüne Stromgewinnung mit Windkraftanlagen gegen den Artenschutz ausspielt, hat weder von dem einen noch von dem anderen etwas verstanden.

  So plump wie sie inhaltlich daherkommt, insgesamt ist die Art der Argumentation nicht ungeschickt. Denn viele der angesprochenen Probleme sind ja vorhanden und werden gesellschaftlich kontrovers diskutiert. Nicht nur Donald Trump, auch Boulevard-Medien äußern immer mal wieder Zweifel an der Menschengemachtheit des Klimawandels. Und Bürgerinnen und Bürger nehmen diese Zweifel nur allzu gern auf, rechtfertigen sie doch ein persönliches Weiter-so oder Jetzt-erst-recht.

  Vielfach tut sich die herrschende Politik ob in Deutschland oder der EU schwer, die Probleme zu lösen oder auch nur stringent das anzugehen, was ihnen Wissenschaftler*innen und andere Experten vorschlagen zu tun. Politische „Zumutungen“ werden vermieden, weil sie die Wiederwahl gefährden könnten. Nicht zuletzt sind in Demokratien fast schon grundsätzlich nur politische Kompromisse durchsetzbar, weil absolute Mehrheiten selten geworden sind oder ihnen virulente ökonomische Interessen entgegenstehen. Die Energiewende müsste gegen die großen Produzenten und Versorger durchgesetzt werden, die Ernährungswende gegen die industrielle Landwirtschaft und die Fleischjunkies, die Verkehrswende gegen die Auto- und Mineralölindustrie. Und deren Lobby ist ein echtes und leider immer noch wachsendes Problem. Selbst auf Weltklimakonferenzen tummeln sich Horden von Fossil-Lobbyisten.

  Die „Lösungen“, die die AFD anbietet, sind allerdings keine wirklichen Lösungen. Denn die Schlichtheit, in der sie vorgetragen werden, verschweigt die Schwierigkeiten demokratischer Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse, die aber zur besten aller möglichen Gesellschaftsformen dazugehören wie die Nacht zum Tag. Daher entwerfen die AFD-Programme nicht nur im Bereich der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes ein Horrorszenario, das nur auf dem Wege einer Abschaffung der Demokratie Realität werden könnte. Das aber kann der Wolf im Schafspelz natürlich nicht in ein öffentliches Programm schreiben. Wer gründlich zwischen den Zeilen zu lesen vermag, entdeckt es auch dort.