Eigentlich wollte die Berliner Ampel-Koalition – so steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag – Fortschritt wagen: „Neues Tempo in die Energiewende bringen, … Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg räumen und damit Schritt für Schritt das fossile Zeitalter beenden.“ Sie hatte sich noch nicht richtig an die Arbeit gemacht, da funkte der russische Diktator dazwischen und überfiel mit seinen Truppen die Ukraine. Mit Bomben und Raketen wollte und will er die Eigenständigkeit des Landes beseitigen und schreckt dazu nicht vor übelsten Methoden zurück. Nun bestimmt der Krieg die politischeTagesordnung, nicht zuletzt weil der Kriegsagressor in die Schranken gewisen werden muss. Wirtschaftsliche Sanktionen waren erforderlich, führten aber zu drastischen Energiepreissteigerungen und offenbarten zugleich die Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen. Was also tun?
Die Bundesbürger trauten ihren Augen nicht, als sie gleich nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs an den Anzeigetafeln der Tankstellen die neuen Preise zu Gesicht bekamen: Knapp 20% Steigerung beim Benzin, 2,07 € pro Liter Super E10 im März statt 1,74 im Februar; knapp 40% beim Diesel, 2,14 € pro Liter statt kurz vorher noch 1,66 €. Ähnliche Entwicklungen bei Gas und in der Folge bei fast allen anderen Konsumgütern bis hin zum Klopapier. Damit war beim Sprit fast der Preis erreicht, den die Grünen bereits 1998 kurz vor der Landtagswahl in Sachsen Anhalt gefordert hatten, nämlich 5 Mark. Die damalige Forderung führte für die Partei zu einem Wahlergebnis von 3,2 % und damit zum Rauswurf aus dem anhaltinischen Landtag. Heute ist dieselbe Partei Koalitionspartner im Bund. Und der damals geforderte Spritpreis ist Realität, wiederum zum heftigen Ärger der Wahlbürger, nur dass diesmal andere Schuld sind.
Denn es sind die Unternehmen, die kräftig an der Preisschraube drehen, und zwar nahezu flächendeckend. Sie machen die Energie im Gleichschritt teurer. Wo sonst immer noch mal der wirtschaftliche Wettbewerb flächendeckende Preissteigerungen im Zaum gehalten hat, sind jetzt anscheinend alle Dämme gebrochen. Angefangen haben die Öl-Multis, andere Energieträger zogen nach, dann die übrigen Branchen: Verkehr, Bau, Lebensmittel usw., die die Energiepreissteigerungen in ihren Preisen weitergeben. Eines ist klar: Hier ist der Krieg ein willkommenes Alibi für einen sonst schwer vermittelbaren kräftigen Schluck aus der Pulle. Das zeigen die kürzlich veröfentlichten Quartalsgewinne der Mineralölkonzern allzu deutlich. Der grüne Wirtschaftsminister hat dagegen eine "Übergewinnabschöpfungssteuer" befürwortet, die es in einigen europäischen Ländern bereits gibt. Aber der FDP-Finanzminister - offenbar der heimliche Kanzler - ist strikt dagegen: "innovationsfeindlich." Und das Bundeskartellamt, das eigentlich als Preiswächter installiert wurde? Prüft, beobachtet und kann nichts Verwerfliches finden, wie fast immer in den letzten Jahrzehnten.
Und was tut die Fortschritts-Koalition sonst? Ruft zum Energiesparen auf und beschließt wirksame Maßnahmen zu dessen Förderung? Weit gefehlt. Sie beschließt Sanktionen gegen Russland, deren Wirkung eher bescheiden ist, weil sie vor allem der eigenen Wirtschaft nicht schaden sollen. Sonst befördert sie vor allem die Renaissance der fossilen Energien: Sie bemüht sich um Ersatz für das russische Gas vor allem in Form von LNG, das z.B. aus Katar, aber vor allem aus den USA per Schiff eingeführt werden soll und überwiegend per Fracking gewonnen wird, also mit Hilfe einer extrem umweltschädlichen Technologie. Sie fordert zu diesem Zweck sogar die Umweltschützer in Deutschland auf, die Errichtungsgenehmigungen für LNG-Terminals nicht durch Proteste zu verlangsamen. Wenn die Terminals dann erst mal gebaut sind, wird es heißen, dass sie auch längerfristig genutzt werden müssen, weil sie viel Geld gekostet haben. Sieht so der anvisierte Fortschritt aus?
Nun ist sicher unstrittig, dass die Preissteigerungen insbesondere im Energiebereich wieder einmal die einkommensschwachen Haushalte besonders trifft, die eh‘ schon kaum mit ihrem Geld über die Runden kommen. Hier ist es also richtig, Maßnahmen zu treffen, die diese Haushalte entlasten und so einen sozialen Ausgleich schaffen. Dazu könnte ein sozial gestaffeltes Energiegeld ebenso beitragen wie die Erhöhung des Einkommensteuerfreibetrags und der sozialen Transferleistungen für Menschen, die gar keine Steuern zahlen. Wenn der Staat weiteres Geld in die Hand nehmen und an Bedürftige ausschütten möchte, wäre eine Sparprämie für Haushalte, die nachweislich z.B. Heizenergie oder Strom eingespart haben sehr sinnvoll, auch wenn sie keine Häuslebauer sind. Zudem käme auch das bedingungslose Grundeinkommen in Betracht, das inzwischen nicht nur von „alternativen“ Fachleuten gefordert wird, das allerdings kaum von heute auf morgen realisierbar ist.
Aber die Ampel sucht nicht nur krampfhaft und gegen den eigentlich anvisierten Klimaschutz nach fossilen Alternativen zu Putins Gas und Öl. Sie will auch die Menschen entlasten, die die hohen Spritpreise und die übrigen gestiegenen Energiekosten stemmen müssen. Tempolimit, Sparanreize oder Förderung von Mieterstrom? Nichts dergleichen. Das am 22. März 2022 beschlossene „Maßnahmenpaket des Bundes zum Umgang mit den hohen Energiekosten“ , das dieser Tage auch den Bundesrat passiert hat und ab dem 1.6. in Kraft treten wird, geht in eine völlig andere Richtung. Eingangs betont es zwar die Ernsthaftigkeit der proklamierten längerfristigen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Umstieg auf grüne Energien. An konkreten schnell wirksamen Maßnahmen jedoch sieht es keine derartigen Einspar- oder Umstiegsförderungen vor, sondern vor allem finanzielle Ausgleichsleistungen zur Abfederung der Preissteigerungen von fossilen Energien, und zwar:
· eine zu versteuernde Energiepauschale von 300€ für Einkommensteuerpflichtige
· einen Kinderbonus von 100€ pro Kind
· eine Einmalzahlung für Sozialleistungsempfänger von 200€
· die Senkung der Energiesteuer auf EU-Mindestniveau für 3 Monate
· und ein 9€ Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr für 3 Monate
Zudem ist die Abschaffung der seit längerem kontraproduktiven EEG-Umlage für grünen Strom zum 1.7. 2022 vorgesehen. Bereits vor diesem Paket war eine Erhöhung der Pendlerpauschale auf 38 Cent ab dem 21. Kilometer beschlossen worden, egal für welches Verkehrsmittel. Dabei wurde einst im Programm der GRÜNEN ein intelligentes Ausgleichs- und Sparpaket für die Erhöhung der CO2-Steuer vorgeschlagen, das hier Anwendung finden könnte: „Damit Klimaschutz sozial gerecht ist, wollen wir die Einnahmen aus dem CO2-Preis direkt an die Bürger*innen zurückgeben: Erstens wird die EEG-Umlage gesenkt, das entlastet Bürger*innen. Zweitens bekommen sie ein Energiegeld – das heißt, die Einnahmen aus dem CO2-Preis fließen in Form einer Pauschale an jeden und jede Bürger*in zurück.“ Wer hat die Umsetzung dieses Konzepts verhindert?
Das Maßnahmenpaket ist nicht nur energiepolitisch rückwärtsgewandt, sondern auch sozial unausgewogen. Eine Spar- oder Umstiegsförderung ist nicht vorgesehen. Gefördert wird das Weiter-so. Denn diejenigen, die wegen des 9€ Monatstickets auf die Öffis umsteigen, werden dort ihr blaues Wunder erleben und von den überfüllten Bussen und Bahnen schnell wieder aufs Auto zurückkehren. Öffi-Förderung darf kein befristetes Strohfeuer entfachen, sondern muss vor allem die Qualität des Nahverkehrs steigern, dann werden die Menschen auch 40€ im Monat dafür zahlen. Und die soziale Dimension? Sozialleistungsempfänger erhalten einmalig 200€, Steuerpflichtige (und zwar auch Profifussballer und Topmanager) dagegen 300€. Den Kinderbonus bekommt jede Familie, gleich welches Einkommen sie hat. Viele Rentner und Studierende kriegen gar nichts. Das ist wieder mal Umverteilung von unten nach oben, denn in den Genuss des staatlich bezuschussten Verbrauchs von fossiler Energie kommen vor allem die Unternehmen, die diese Energie verkaufen, auch die russischen. Putin würde nur dann getroffen, wenn der Staat endlich die Energieimporte aus Russland unterbinden würde. Da überlegt man noch…
Die derzeitige politische Lage ist eigentlich der ideale Hintergrund für den überfälligen Einstieg in den Ausstieg aus fossiler Energie, den auch eine Mehrheit der Bürger mittragen würde. Genau dazu ist die Ampel ja eigentlich angetreten, wenngleich schon das Regierungsprogramm daran Zweifel geweckt hat. Diese Zweifel waren offensichtlich angebracht. Denn was derzeit zu beobachten ist, ist das genaue Gegenteil. So wird das nichts mit der Energiewende.