Gier - sind Unternehmer schlechte Menschen?

Meine Wochenendzeitung brachte dieser Tage zwei spannende Artikel: Zum einen den empörten Beitrag eines altgedienten Wirtschaftsredakteurs über die von ihm zutiefst mißbilligte Beobachtung, dass die Täter des sonntäglichen ARD-Tatorts am häufigsten Manager oder Unternehmer sind, dicht gefolgt von Berufsverbrechern. Zum anderen ein Interview mit der jungen Erbin einer schwerreichen Unternehmerdynastie, die 90% ihres Millionenerbes abgeben will, weil sie es ungerecht findet, dass die Vermögensverteilung in Deutschland und der Welt immer ungleicher wird, vor allem wegen der leistungslosen Erbschaften von Unternehmenserben. Sind also, wie die Tatortautoren offenbar meinen, Unternehmer schlechte Menschen, weil sie gierig nach immer mehr Profit streben? Oder gibt es auch „Gutmenschen“ unter ihnen? Und wie steht es um nachhaltiges Wirtschaften in diesem Zusammenhang?

 

  Gier ist eine der sieben Todsünden. Sie wird begleitet von Neid, Völlerei, Wollust, Hochmut, Trägheit und Zorn. Das alte Testament stuft alle sieben als Kardinalsünden ein und lehrt, dass sie nicht vergeben werden können. Nach dem neuen Testament verzeiht sie Gott jedoch im Rahmen der Sündenvergebung, jedenfalls wenn man aufrichtig bereut und sich nach Kräften bemüht, Rückfälle zu vermeiden.

  Wenngleich danach vom christlichen Standpunkt aus gesehen verzeihlich, ist Gier jedoch allemal keine sehr wohlgelittene Haltung. Wer von Zeit zu Zeit mal gierig nach was auch immer ist, dem sieht man das schon mal nach. Wenn Gier jedoch zur Charaktereigenschaft wird, sind diese Menschen nicht besonders beliebt. Sie gelten als Sozialschädlinge, die sich auf Kosten ihrer Mitmenschen zu bereichern versuchen, nicht selten erfolgreich in dem Sinne, dass es ihnen gelingt, materiellen Wohlstand anzuhäufen, der das Normalmaß erheblich überschreitet.

  In der herrschenden Ökonomie allerdings wird vielfach eine andere Position vertreten, nämlich die, dass der Mensch generell ein unersättliches (= gieriges) Wesen ist, das von allem nie genug bekommen kann. So kann man in vielen Lehrbüchern der Ökonomie in ähnlicher Formulierung folgenden Satz lesen: „Die Bedürfnisse des Menschen sind grundsätzlich unbegrenzt.“  Weil aber die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung knapp sind, und zwar selbst für Superreiche, müssen die Menschen wirtschaften, d.h. ihre Mittel so einsetzen, dass sie ein möglichst hohes Niveau an Bedürfnisbefriedigung erreichen. Auch wenn es nicht gottgefällig ist, so sind sie eben, die Menschen. Meint jedenfalls die Ökonomie. Danach sind dann Unternehmer, die nach möglichst hohem Profit streben, normale gierige Menschen wie andere auch. Wie nun?

  Privatwirtschaftliche Unternehmen sind Einrichtungen, mit denen ihre Eigentümer Geld verdienen wollen. Das ist unhintergehbar. Denn die Aktivitäten von Unternehmen kosten Geld und in einem wirtschaftlichen System, in dem man durch den Einsatz von Geld Geld verdienen kann, wird niemand Geld einsetzen, wenn er sich davon nicht verspricht, dadurch mehr Geld zu erlösen, als er eingesetzt hat. Unternehmer sind also Leute, die Geld einsetzen, um damit Geld zu verdienen. Oft sind diese Menschen in dem Unternehmen, dem sie Geld geben, auch selbst als aktive Unternehmer tätig, manchmal übertragen sie diese Tätigkeit an angestellte Manager. Haben sie nicht genug Geld zur Finanzierung ihrer Aktivitäten, dann können Unternehmen bei Banken Kredite aufnehmen. Aber auch Banken sind privatwirtschaftliche Unternehmen, die nur dann Geld geben, wenn sie dafür Zinsen bekommen und möglichst auch die Gewissheit haben, dass sie das eingesetzte Geld wieder zurückbekommen.

  Vor die Wahl gestellt, mit einer unternehmerischen Aktivität mehr Geld verdienen zu können als mit einer anderen, werden die meisten Unternehmer die mehr Geld versprechende Aktivität vorziehen. Ob sie insgesamt den maximal möglichen Gewinn herausschlagen können, ist ungewiss, auch wenn die ökonomische Theorie genau das unterstellt. Wichtig dabei ist aber vor allem, dass es gar nicht die persönliche Profitgier des handelnden Unternehmers ist, die ihn veranlasst, so zu handeln, sondern dass es die wirtschaftlichen Systembedingungen sind, die Gewinnerzielung als grundlegende Existenzbedingung für ein Unternehmen notwendig machen. Nur ein „social business“, wie es etwa der Unternehmer Mohammed Yunus in Bangladesch mit seiner Grameen Bank gegründet hat, oder Staatsunternehmen, die von Staaten ohne Gewinnerzielungsabsicht unterhalten werden, können auf Gewinnerzielung verzichten. Nicht Gier sondern Existenzsicherung treibt Unternehmen bei der Gewinnerzielung an.

  Dass sie dabei andere Teilnehmer des Wirtschaftsprozesses, Wettbewerber, Kunden, Arbeitnehmer und die Natur, benachteiligen oder schädigen können, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Denn Unternehmen haben vielfach große wirtschaftliche Macht. Wettbewerbsbeeinträchtigungen, soziale Verwerfungen und die Schädigung der Natur sind Merkmale einer kapitalistischen Wirtschaft, die dann auftreten, wenn Unternehmer die Verantwortung nicht wahrnehmen, die ihnen aus ihrer wirtschaftlichen Macht zuwächst.

 Thomas Mann porträtiert mit den Buddenbrooks eine Kaufmannsdynastie, deren Geschäftsgrundsatz lautete, „mit Lust bei den Geschäften am Tage zu sein, aber nur solche zu machen, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können“. Verstöße gegen dieses Gebot werden prompt vom Schicksal bestraft. Als der junge Konsul Buddenbrook einmal die Notlage eines Bauern ausnutzt und ihm seine Ernte auf dem Halm für einen Spottpreis abkauft, macht ein Unwetter die gesamte Ernte zunichte. Geschäftlicher Misserfolg als Vergeltung für unmoralisches Handeln.  In Wirklichkeit geht das leider nicht immer so einfach.

  Selbstverständlich gibt es nicht nur im Roman gierige Unternehmer, ganz gleich ob ihnen das Unternehmen, das sie leiten, gehört oder nicht. Die globale Finanzkrise 2008/2009 ist nicht zuletzt von der Gier diverser Finanzhaie hervorgerufen worden. Insbesondere Händler und Banker sind anfällig für Gier, denn ihre Geschäftsmodelle kreisen von Anfang bis Ende um den Einsatz von Geld zum Zweck seiner Vermehrung. Auch die Filmbiografie „The Wolf of Wallstreet“ des Börsenmaklers Jordan Belfort  schildert einen solchen Fall. Verantwortungsvolle Gewinnerzielung aber hat mit Gier eher wenig zu tun.

  Andererseits hört man aber auch von Unternehmern und deren Erben, die als großzügige Spender und Mäzene auftreten und dabei erhebliche Teile ihres Einkommens und Vermögens sozialen Zwecken zuführen. Ein Beispiel hierfür ist der Multimilliardär Bill Gates, der mit seiner Stiftung in großem Umfang zu helfen versucht, Armut und Hunger in der Welt zu bekämpfen.  In Bezug auf sein Geschäftsgebaren als Gründer und Chef von Microsoft wird allerdings nicht nur Positives berichtet. Hier sei er nicht selten ein rücksichtsloser Despot gewesen, der ohne Skrupel Microsoft geführt hat. Da stellt sich die Frage, ob gesellschaftlich nützliches Handeln sich nicht besser in verantwortlicher Unternehmensführung offenbart statt in der philanthropischen Verwendung eines wie auch immer erzielten großen Vermögens. Denn Sozialleistungen dorthin zu lenken, wo sie wirklich vorrangig gebraucht werden, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die demokratisch gewählten Parlamente und Regierungen zuständig sind und nicht selbsternannte Wohltäter, die niemandem Rechenschaft geben müssen, wen sie fördern und warum sie es tun.

  Glaubhafter sind da die Aktivitäten von vermögenden Unternehmern und Unternehmenserben, die sich dafür einsetzen, dass durch eine angemessene Besteuerung die enormen und immer noch steigenden Vermögensunterschiede reduziert werden und durch das entsprechend höhere Steueraufkommen Staaten in die Lage versetzt werden, Maßnahmen des sozialen Ausgleichs und des Umwelt- und Klimaschutzes zu finanzieren. Noch weiter geht eine junge Unternehmenserbin aus der Engelhorn-Dynastie, deren Vorfahren als Chemieunternehmer Reichtum angehäuft haben und die jetzt 90% ihres Erbes spenden will, weil sie Erbschaften als leistungslose Einkommen aus Gerechtigkeitserwägungen ablehnt.

  Menschen, die in Unternehmen Verantwortung tragen, sind Menschen wie Du und ich. Einige von ihnen lassen ihr Handeln, auch wenn es der Gewinnerzielung dient, auch von sozialer Verantwortung leiten, andere tun das weniger oder gar nicht. Nicht dass man Unternehmensgewinn zu erzielen versucht, sondern wie man es tut, ist also die Frage. Man kann nach dem Rat des Hippokrates handeln, der da lautet „primum non nocere“ (vor allem keinen Schaden anrichten).Anderen ist alles andere egal, Hauptsache die Kasse klingelt. Wenn Unternehmer ihre Verantwortung wahrnehmen, dann werden sie auch darauf achten, dass ihr Handeln den Klima- und Umweltschutz beachtet und Schädigungen soweit wie möglich vermeidet. Tun sie das nicht, dann geht kein Weg daran vorbei, dass soziale und rechtliche Grenzen ihr Handeln in verträglichem Rahmen halten. Diese fehlen allerdings weithin.

  Hier wären strengere Gesetze z.B. gegen irreführende Werbung für gesundheitsschädliche Kindernahrung geboten  oder die Einrichtung von verbindlichen Stakeholderdialogen bei der Einführung neuer Technologien oder der Errichtung neuer Produktionsstätten, wie sie etwa die Bayer AG bereits freiwillig praktiziert.  Allerdings ist gerade dieses Unternehmen auch ein Beispiel dafür, dass ein Unternehmen trotz massiver gesellschaftlicher Vorbehalte an der Produktion eines stark kritisierten „Pflanzenschutzmittels“ festhält, weil das Unternehmen beteuert, von der Nützlichkeit des Produkts überzeugt zu sein.  Nachhaltigkeit ist nur im ehrlichen Dialog mit Menschen erreichbar, die darüber nicht nur reden, sondern auch dementsprechend handeln, selbst wenn sie dafür den eigenen Vorteil zurückstecken müssten. Das gilt für jeden von uns, auch für Unternehmer.