Sei doch nicht so'n Miesepeter!

  Diesen Satz höre ich in letzter Zeit öfter als früher. Mag sein, dass ich mit fortschreitendem Alter zuweilen übellauniger bin als zu der Zeit, als ich noch frisch und knackig war. Das aber ist hier anscheinend gar nicht gemeint, sondern dies: In persönlichen Gesprächen mit Angehörigen und Freunden erwähne ich zweifellos häufiger als früher Unwillen über oder Kritik an Beobachtungen meines eigenen oder des Verhaltens meiner Mitmenschen. Seien dies die Miiliardäre, die mal eben zu ihrem Vergnügen in den Weltraum fliegen, nur weil sie die nötige Kohle dafür haben, obwohl sie um die Klimschädlichkeit ihres Tuns wissen. Seien es Politiker, die sich im Wahlkampf darin zu übertreffen versuchen, dass sie bei aller Notwendigkeit des Klimaschutzes die Bürger „mitnehmen“ und all ihre Bequemlichkeiten und Gewohnheiten bewahren wollen, wohl wissend, dass spürbare Einschränkungen unvermeidlich sind. Oder ich selbst, der beim Italiener doch wieder pasta salmone bestellt, obwohl mir klar ist, dass die Meere überfischt und die Zuchtlachsfarmen echte Giftschleudern sind. Sind diejenigen Miesepeter, die normal gewordenes Handeln kritisieren und zur Umkehr hin zu einem nachhaltigen Lebenswandel auffordern?

  Ich schreibe diesen Text in der Schlusswoche des Bundestags-Wahlkampfs 2021. Und siehe da: Insbesondere die Wahlkämpfer des CDU/CSU und der FDP diskreditieren alle Befürworter schneller Klimaschutzmaßnahmen ebenfalls als Miesepeter oder Verbotsapostel. Wenn diese die Wahl gewinnen, sagen sie, droht uns nicht nur der Niedergang der Wirtschaft, sondern auch eine freudlose Zukunft. Flugverbote, hohe Benzin- und Heizkosten und verordnete Veggiedays stehen uns bevor. Alles was üblich war und Spaß macht, wird abgeschafft. Wahrhaft schlimme Aussichten? Gucken wir genauer hin.

  Die meisten Menschen haben die verständliche Neigung zur Bequemlichkeit und zum Festhalten an Gewohntem. Sie lassen sich auch auf Neues ein, wenn es Aussicht auf neue Freuden oder Bequemlichkeiten bietet. Diese Neigungen werden bedient und immer wieder neu geweckt von Unternehmen, die uns Produkte und Leistungen verkaufen wollen. Dazu gehören jeden Monat neue Klamotten, jedes Jahr neue Smartphones, große Autos, Kreuzfahrten, zusätzliche Fernsehprogramme und Streaming-Dienste.

  Das ist einer der Ursprünge der schier unbegrenzten Wachstumsdynamik der kapitalistischen Wirtschafts- und Konsumgesellschaft. Die Wirtschaft bedient menschliche Neigungen und bestärkt und verformt sie zugleich. Sie richtet Bedürfnisse aus auf Marktangebote. So wird z.B. der Wunsch nach sportlicher Betätigung, der vor Zeiten mit wenig materiellem Aufwand in Sportvereinen gepflegt wurde, in neue, vor allem Individual-Sportarten gelenkt, für die es chices Equipment braucht. Das Bedürfnis nach gutem Essen und Trinken wird zunehmend auf industriell hergestellte Fertigprodukte oder Restaurants hin orientiert. Wanderurlaube sind (Corona mal draußen vor gelassen) nur noch en vogue, wenn sie im Himalaya oder in den Anden verbracht werden. Freude und Befriedigung verschaffen vermeintlich nur noch marktliche Angebote. Aktivitäten und Genüsse, für die man wenig Geldwertes benötigt, gelten als weniger wert als solche, die man sich leisten können muss.

   Wenn in eine so gewachsene abendländische Konsumkultur nun berechtigte Warnungen eindringen, die darauf hinweisen, dass diese Lebensweise die materiellen Grundlagen des Lebens auf diesem Planeten gefährdet und zerstört, dann kommt es zu Irritationen und Abwehrgefechten. Derjenige, der sein Plädoyer für Weniger mit dem Attribut „Befreiung vom Überfluss“ vorträgt, wird als Miesepeter oder Verbotsapostel apostrophiert. Nur mehr haben wir als besser zu verstehen gelernt. Wie können dann weniger fliegen oder aufs Fahrrad umsteigen mit dem erlernten Bild guten Lebens zusammenpassen?

  Stellen Sie sich bitte nur einmal vor, Sie würden ab morgen nur noch 20-30 Stunden pro Woche arbeiten und dann vermutlich auch weniger Geld bekommen als heute. Dafür gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 € pro Monat, so dass Sie keine materielle Not leiden müssten. Sie würden weniger produzieren und konsumieren. Aber Sie hätten die Muße gewonnen, sich einen Kleingarten zuzulegen, wenn Sie das wollten, oder die gewonnene Zeit auf andere Weise selbstbestimmt zu nutzen. Sie hätten wieder Zeit, sich Ihr Essen selbst zu kochen, sich handwerklich zu betätigen, selbst Musik zu machen und die Gemeinschaft mit anderen zu pflegen. Weniger Geld, weniger Stress, mehr Muße, mehr Freiheit. Eine trübe oder eine eher verlockende Aussicht? Auf jeden Fall ein Leben, das viel weniger Ressourcen verbraucht und daher wesentlich nachhaltiger ist als das gewohnte Immer Mehr.

  Von den Wissenschaftler und Politikern, die für die deutliche Umkehr hin zu einem nachhaltigen Leben eintreten, um die globalen Lebensgrundlagen zu bewahren, tritt niemand dafür ein, uns ein solches Leben vorzuschreiben oder den bisherigen Lebensstil zu verbieten. Es muss aber möglich werden, mit viel weniger als bisher zu leben, vor allem in unserem Kulturkreis, denn in der dritten Welt sorgt Armut oft ganz allein für Nachhaltigkeit. Immerhin wissen wir ja längst, dass es so nicht weiter gehen kann mit all den Zerstörungen der natürlichen Umwelt, die der westliche Lebensstil anrichtet. Und nur wenn die individuelle Umkehr politisch erleichtert wird, können die Menschen diese Umkehr für sich ohne Zwang erproben und schlussendlich vollziehen.

  Die „Miesepeter“ und „Verbotsapostel“ von heute haben nicht mehr im Sinn, als ihr Wissen um die Unausweichlichkeit einer solchen Entwicklung weiterzugeben, Alternativen aufzuweisen und auch mit denjenigen in eine Debatte einzutreten, die immer noch meinen, es könne so weiter gehen wie bisher. Es gilt jetzt, dass immer mehr Menschen dieses Wissen endlich in entsprechende Handeln umsetzen. Wie sagte die scheidende Kanzlerin häufig? „Das ist alternativlos.“