IKEA nachhaltig - geht das?

Meine lokale Tageszeitung hat vor einiger Zeit eine Woche lang täglich eine Beilage „Nachhaltig leben“ gebracht. Darin wurden die Leser informiert, wie sie in verschiedenen Lebensbereichen Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten können, im Bereich Essen, Wohnen, Verkehr usw. Eine verdienstvolle Initiative, wie ich finde, wenn gleich zu sehr auf die möglichen Beiträge jedes Einzelnen fokussiert wird, wo doch ein großer Teil des persönlichen ökologischen Fußabdrucks von Faktoren wie dem nationalen Energiemix, der Bau- und Verkehrsinfrastruktur und den politischen Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen bestimmt ist, die Einzelne begrenzt beeinflussen können. Interessanterweise enthielten die Beilagen nur wenige Werbeanzeigen. Unter diesen wenigen waren Anzeigen von Ikea besonders häufig. Motto: Ikea ist nachhaltig! Das brachte mich zum Nachdenken: Ausgerechnet dieses große Möbelhaus stellt sich und seine Produkte als nachhaltig dar? Ist das glaubwürdig?

 

   Ikea wurde 1943 in Schweden als eine Art Kolonialwarenladen gegründet, stieg aber sehr bald ins Möbelgeschäft ein, zunächst als Versandhandel, später dann mit stationärem Angebot. Die wichtigsten Bestandteile der Marketingstrategie waren und sind bis heute ein Möbelkatalog (inzwischen nur noch virtuell), in dem die Möbel im Rahmen einer vollständigen Einrichtung präsentiert werden, das Selbstabholkonzept von Möbeln, die von den Kunden selbst montiert werden müssen und damit verbunden sehr preisgünstig angeboten werden können, sowie die Kombination von Möbelhaus und Restaurant. Nach überwältigenden Erfolgen im Heimatland expandierte Ikea in Riesenschritten in vielen Ländern.

    In den 70er Jahren wurde das Angebot zunehmend modischer ausgestaltet und dementsprechend kurzfristig verändert. Nicht mehr nur Ivar, Billy und Co., Ikea präsentiert seine Möbel als immer wieder neu designte Modeartikel, die auf kurze Lebensdauer ausgelegt sind und nicht mehr wie bei den Großeltern einmal im Leben gekauft oder wenigstens über viele Jahre genutzt werden. Alle paar Jahre mal was Neues ist die Devise, frühzeitiger Verschleiß z.B. bei Umzügen ist eingepreist. Denn die niedrigen Preise erfordern billige Herstellung, die nicht selten in den Niedriglohnländern Osteuropas (zumal bis zum Fall des Eisernen Vorhangs) und Asiens stattfindet.

    Um die Kunden immer wieder auf Neues zu stoßen, sind die Läden so gestaltet, dass man im Möbelhaus zu einem ausführlichen Spaziergang durch alle Abteilungen genötigt wird, Restaurant eingeschlossen. Auch dort entkommt man den neuesten Möbelangeboten nicht, denn die Restaurants sind damit möbliert. Der Weg zum Ausgang führt von den Möbeln über die mannigfaltigen Accessoires und die Selbstbedienungslagerhalle zur Kasse. Kaum ein Kunde kommt hinaus, ohne mindestens zwei, drei Dinge gekauft zu haben, die er eigentlich gar nicht kaufen wollte. Wer nur mal ein Regal kaufen will, muss mühsam den kürzesten Weg suchen und nicht nach rechts oder links gucken, um diesen Fallen zu entgehen. Zudem sind die Läden fast nur mit dem Privat-PKW zu erreichen, was besonders dann problematisch ist, wenn der Kunde der Fülle widerstanden und außer Stoffblumen und anderen Kleinigkeiten doch nichts gekauft hat.

    Was könnte hier nachhaltig sein, darf man fragen.

    Ikea sagt in seinen Werbeanzeigen: Bettwäsche aus nachhaltiger Baumwolle, der Kissenbezug für 6,81€, nachhaltig, weil unter Verzicht auf Pestizide etc. angebaut. Ein Teppich aus recyceltem PET-Flaschen für 9,74€, nachhaltig, weil Recycling. LED Leuchtmittel (Birne) für 78 Cent (!), nachhaltig, weil stromsparend. Vegetarische Köttbullar aus Erbsenprotein für 3,42€, nachhaltig, weil fleischlos. Das sind zweifellos Angebote, die sich von üblichen Produkten abheben. Jedes für sich ist auf einer fiktiven Nachhaltigkeitsskala näher am Prädikat „nachhaltig“ als vergleichbare Konkurrenzprodukte. Soweit o.k.

    Im Rahmen des Geschäftsmodells von Ikea aber sind und bleiben es peanuts. Denn dieses Geschäftsmodell ist auf Grenzenlosigkeit angelegt. Es drückt die Preise bei den Herstellern der Produkte, bis es nicht mehr geht, um die Kunden dazu zu bewegen, sich immer mal wieder was Neues zu leisten, auch wenn das Alte keineswegs abgenutzt oder unbrauchbar geworden ist. Ikea zelebriert Konsum als Familienerlebnis. Beim Aufbau und der Verbreitung der Konsumkultur, die sich in vielen westlichen Ländern immer mehr durchsetzt, bildet Ikea eine der Speerspitzen. Die Firma ist zum Trendsetter für die gesamte Möbelwirtschaft und darüber hinaus geworden. Ikea ist der Prototyp des marktführenden großen Handelsunternehmens, vergleichbar mit großen Lebensmittelhändlern oder Touristikunternehmen, das als „gatekeeper“ die Branche dominiert, den oft kleinen mittelständischen Zulieferern Preise und Konditionen diktiert und bei den Kunden die Geiz-ist-geil-Mentalität entwickelt und befördert. Noch mächtigere gatekeeper gibt es im Internet, wo Kraken wie Amazon, Facebook und Google systematisch Wettbewerber eliminieren oder aufkaufen, ihren Nutzern Daten abpressen und weitere Kollateralschäden anrichten. Aber das ist ein Thema für sich, deshalb zurück zu Ikea: Ein solches Unternehmen kann, auch wenn es Produkte im Sortiment hat, die über Nachhaltigkeits-Merkmale verfügen, niemals wirklich nachhaltig sein.

    Eine nachhaltige Möbelwirtschaft müsste Möbel anbieten, die langlebig sind, weitgehend aus natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen bestehen, reparaturfreundlich sind und von den Kunden so wertgeschätzt werden, dass sie gepflegt und lange genutzt, vielleicht sogar an Kinder oder Kindeskinder vererbt werden können. All diese Merkmale treffen auf Möbel und die übrigen Angebote von Ikea nicht zu und auf das Geschäftsmodell, das der Möbelgigant entwickelt und am Markt durchgesetzt hat, schon gar nicht. Ikea nachhaltig ist also greenwashing par excellence. Das hätte auch meine Zeitung wissen können, als sie Werbeanzeigen des Unternehmens ausgerechnet in ihre ernsthaften Nachhaltigkeits-Beilagen aufnahm. Aber spätestens seit Amazon, Google, Facebook und Co. wissen wir ja: Nichts ist umsonst, auch eine kostenlose Zeitungsbeilage nicht.