Möchten Sie auch gern reich sein?

 

Wenn jeder Mensch auf seinem Vermögen sitzen oder stehen würde, gestapelt in 100-US-Dollarscheinen, so säße die Mehrheit der Menschen auf dem Boden. Jemand, der über ein in einem reichen Land durchschnittliches Vermögen verfügt, säße auf einem Geldstapel in der Höhe eines Stuhls. Die beiden reichsten Männer der Welt stünden dagegen im Weltall.

 

 

Kürzlich las ich in der Zeitung über die vom Marktforschungsinstitut GfK (Gesellschaft für Konsumforschung, Nürnberg) seit nunmehr vier Jahren regelmäßig durchgeführte Reichtumsstudie.  Immer weniger Deutsche finden es erstrebenswert, reich zu sein. Waren es 2017 noch 70% der Befragten, die gern reich wären, so sind es in diesem Jahr nur noch 53%. Das sind, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung immerhin ca. 13 Mio. Menschen weniger! Der Zeitungsjournalist mutmaßt, ob diese 13 Mio. Leute es etwa geschafft hätten, mittlerweile reich zu sein. Angesichts der wirklichen Vermögensverhältnisse in Deutschland eine völlig abwegige Vermutung, denn seit Längerem nimmt die Zahl der Armen zu und keineswegs die der Reichen. In Beziehung zum Thema Nachhaltigkeit wäre das sogar eine ziemliche Katastrophe. Denn tatsächlich sind es vor allem die wohlhabenden Mitbürger*innen, die uns die Nachhaltigkeitsbilanz versauen. Grund also, einmal genauer hinzuschauen.

 Die Verteilung des Vermögens der Deutschen Bevölkerung ist ausgesprochen schief: Das reichste 1% hat etwa genau so viel geldwertes Vermögen wie 87% der Ärmeren (von unten betrachtet). Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung besitzen die reichsten 10% der Bevölkerung 56% des Gesamtvermögens der deutschen Haushalte. Die ärmere Hälfte hat gerade mal 1,3%.

Noch extremer sieht es im Weltmaßstab aus. Hier besitzen die 8 reichsten Personen (alles Männer, davon 6 US-Amerikaner) mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung, nämlich mehr als 420 Mrd. US Dollar.Und dieser Zustand ist keineswegs in Stein gemeißelt, sprich schon lange so wie heute: Im Gegenteil, er verschärft sich immer mehr. Die Milliardär*innen (das sind ein paar mehr als 8) werden immer reicher. 2018 ist ihr Vermögen um 900 Milliarden US-Dollar gewachsen – im Durchschnitt also um 2,5 Milliarden US-Dollar täglich.

O.k., das ist sozial skandalös, aber ist es unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten wirklich bedeutsam? Denn diese Superreichen, das sind doch nur sehr wenige, die in Bezug auf die Naturzerstörung  kaum ins Gewicht fallen. Tatsächlich weiß Wikipedia: „Zusammengenommen gibt es weltweit ca. 18,1 Millionen Menschen, die über ein Vermögen von mehr als 1 Million US-Dollar verfügen (die gesamte Weltbevölkerung umfasst ca. 7,55 Milliarden). Damit sind weniger als 0,25 % der Weltbevölkerung Dollar-Millionäre.“ Und die Zahl der Dollar-Milliardäre, derjenigen also, die über ein geldwertes Vermögen von mindestens 1.000 Millionen Dollar verfügen, liegt bei gut 2.000. Das sind wirklich nur sehr wenige.

 So könnte man wohl argumentieren, sollte man aber nicht. Denn Reiche leben deutlich weniger nachhaltig als Arme. Sie fahren große Autos, leben in großen Häusern, konsumieren in großem Stil und fliegen in der Welt herum, wenn nicht gerade Corona ist. Ihr ökologischer Fußabdruck ist deutlich höher als der von Menschen, die den Pfennig umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Und viele Reiche tun das alles, obwohl sie sehr gut wissen, dass sie damit ökologische Schäden anrichten, einfach weil sie es sich leisten können und wollen. Arme dagegen müssen gar keine Kenntnisse über Ökologie und Umweltprobleme haben, um einen kleinen ökologischen Fußabdruck zu haben, weil sie sich einen großen schlicht nicht leisten können.

 Dieser Zusammenhang gilt natürlich nicht nur für die wirklich Reichen und Armen. Schon Wohlhabende z.B. mit einem Jahreseinkommen von über 100.000 € haben fast immer einen erheblich größeren Fußabdruck als ihre ärmeren Landsleute. Selbst ärmere Menschen aus der ersten Welt haben einen größeren als z.B. Afrikaner*innen oder Lateinamerikaner*innen, selbst wenn diese dort als relativ wohlhabend gelten.

 Außerdem ist Vermögen nicht gleich Vermögen. Wer im Lotto eine Million oder ein paar mehr gewinnt, ist zwar auf den Schlag Millionär und kann sich ein, zwei Porsche und ein schickes Haus kaufen, aber mehr nicht. Die hochbezahlten Profifußballer und die Chefs großer Aktiengesellschaften haben ein Einkommen von bis zu 10 Millionen Euro pro Jahr und damit mehr als das 150fache eines Normalverdieners. Wesentlich höher jedoch sind die Einkünfte aus großen Geldvermögen, die in Unternehmen angelegt sind. Wenn z.B. BMW eine Dividende von nur 2,5% bezahlt (wie kürzlich für 2019), dann bekommt die Großaktionärsfamilie Quandt/Klatten, die knapp die Hälfte der BMW-Aktien hält, etwa 770 Millionen Euro Dividende überwiesen, jedes Jahr. Wer Produktivvermögen besitzt, wem also ein größeres Unternehmen gehört oder zumindest ein Teil davon oder wer umfangreicheren Grundbesitz hat, der verfügt über ein Vermögen, das ihm ein deutlich höheres wiederkehrendes Einkommen beschert als den üblichen Verdächtigen. Damit haben sie die Chance, dieses Vermögen zu vermehren und über seine Verwendung zu bestimmen, oft sogar, ohne dafür selbst arbeiten zu müssen.

 Zudem verschafft Produktivvermögen wirtschaftliche Entscheidungsmacht. Sein Besitzer kann darüber befinden, wie es verwendet wird, ob damit z.B. Atomkraftwerke gebaut oder Waffen hergestellt werden oder ob es für den Bau von Windkraftanlagen oder Krankenhäusern eingesetzt wird, ob es mit anderen Worten nachhaltigkeitsfördernd oder eben –schädigend eingesetzt wird. Es kommt also nicht nur darauf an, wie groß ein Vermögen ist, sondern vor allem darauf, was für ein Vermögen jemand hat. Große Privatvermögen machen aus Menschen Reiche, große Produktivvermögen machen aus Menschen Mächtige, die mit wirtschaftlichen Entscheidungen die Schicksale vieler anderer zumindest beeinflussen, wenn nicht bestimmen. Und die damit auch darüber befinden, wie ihre Unternehmen mit der Natur und dem Klima auf dieser Welt umgehen. Meist geht ihnen trotz ihres ohnehin schon stattlichen Reichtums ihr persönliches Einkommen allen anderen Belangen vor.

 Allerdings sind viele der wirklich Reichen oft großherzige Spender und Wohltäter. Bill Gates und seine Frau haben z. B. eine Stiftung gegründet, die durch weltweite Armutsbekämpfung und Gesundheitsvorsorge bekannt geworden ist und dafür richtig viel Geld in die Hand nimmt. Das ist ehrenwert, in einer demokratisch verfassten Welt jedoch allenfalls die zweitbeste Lösung. Wenn es eine angemessene Besteuerung auch für große Einkommen und Vermögen gäbe und Steuerflucht wirklich geahndet würde, dann wären die Staaten in der Lage, mit dem Steuergeld Maßnahmen zu finanzieren, die von einer Wähler-Mehrheit für richtig und sinnvoll gehalten werden (funktionierende demokratische Kontrolle vorausgesetzt). Sie könnten z.B. die Stromerzeugung und die übrige Infrastruktur so aus- und umbauen, dass die davon ausgehenden ökologischen Schäden auf ein Minimum reduziert werden.

 Heißt das nun aber, wir müssen alle wieder arm werden, um „die Erde retten“ zu können? Und ist das so ohne weiteres machbar? Das wäre aus meiner Sicht etwas zu kurz geschlossen. Natürlich haben alle Menschen das Recht auf ein gutes Leben. Wohlgemerkt alle das gleiche Recht! Der wirtschaftliche Wohlstand nicht nur der Reichen, sondern aller Menschen in den reichen Ländern der westlichen Welt basiert aber nicht unerheblich auf der Ausbeutung und Schädigung der Natur und auf der Ausbeutung der Menschen in der übrigen Welt. Wenn wir uns bescheiden, schafft das Raum dafür, dass auch die Menschen in der übrigen Welt die Chance auf ein gutes Leben bekommen und dass die Natur nicht weiter geschädigt wird, was wiederum auch für uns von großem Nutzen ist.

 Dafür müssen wir nur bereit sein, unser Reichtumsstreben umzulenken auf Dinge und Beziehungen, die für uns als Menschen wirklich wichtig sind, um gut zu leben, ohne die Natur und andere auszubeuten. Das wäre dann ein Reichtum, der nicht in Geld sondern in Wohlergehen und Glück zu messen ist. Dass das geht, führt uns die Corona-Pandemie gerade vor Augen: Viele haben gemerkt, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn sie weniger Klamotten kaufen und nicht mehrmals die Woche essen gehen. Was die meisten von uns wirklich vermisst haben in diesen Corona-Monaten, ist die Nähe zu unseren Mitmenschen und Familienangehörigen. Um die zu bekommen, brauchen wir dieses Streben nach Geld-Reichtum gar nicht. Dann sind auch die 53% Möchte-Gern-Reichen noch 53% zu viel. Wäre eine gute Gelegenheit, mal darüber nachzudenken!