Weniger (lohn)arbeiten!

Vorab: Diesen Artikel habe ich schon vor einigen Wochen geschrieben, als von Corona noch nicht die Rede war. Jetzt müssen die meisten von uns von gestern auf heute weniger oder dürfen gar nicht mehr arbeiten, wenn sie Glück haben für 60% Kurzarbeitergeld. Viele überlegen sich kreative Auswege und fühlen sich ganz gut dabei. Bei einigen, insbesondere Selbständigen, geht es aber schon um die Existenz. Wer hat schon so viele Ersparnisse, dass es über Monate reicht? Gäbe es das bedingungslose Grundeinkommen, wäre das kein Problem. Nun zahlt der Staat unter bestimmten Bedingungen Hilfsgelder, was im Effekt auf das Gleiche hinauskommt. Warum also nicht gleich insgesamt weniger (lohn)arbeiten? Das würde auch der Nachhaltigkeit unseres Lebens und Wirtschaftens einen guten Dienst erweisen.

 

 

 

Wachstum, Wachstum, Wachstum! Das ist das Mantra der herrschenden Wirtschaftspolitik, nahezu überall auf der Welt. Wenn die Wirtschaftsweisen ihre Wachstumsprognosen senken, reagieren nicht nur die Börsen mit Kursverlusten. Überall in den Wirtschaftsredaktionen sieht man düstere Wolken aufziehen, sieht „unseren“ Wohlstand gefährdet und mahnt die Gewerkschaften zur Lohnzurückhaltung. Die Gespenster von Stagnation (= Nullwachstum) und Rezession (= Rückgang der Wirtschaftsleistung, des sog. Bruttoinlandsprodukts) werden beschworen. Die Finanzminister fürchten sinkende Steuereinnahmen und zücken den Rotstift. Wehklagen allenthalben. Dabei kommen die materiellen Früchte des Wachstums schon heute vor allem den wenigen Reichen und Superreichen zugute, die jetzt schon viel mehr haben, als sie verbrauchen können. Die vielen Durchschnittsverdiener und vor allem die Armen haben eher wenig bis nichts vom Wachstum.

 Dabei hatte schon der Club of Rome im Jahre 1972 in seinem ersten viel beachteten Manifest Wachstumsgrenzen beschworen. Begründung: Stetiges Wirtschaftswachstum ist ökologisch nicht vertretbar, vor allem da es die Vorräte an fossilen Rohstoffen über kurz oder lang verbraucht und damit die Lebensgrundlagen der Menschheit vernichtet. Zwar sind die damaligen Prognosen, dass erste Rohstoffe bereits binnen 30 bis 50 Jahren aufgebraucht sein würden, nicht in Erfüllung gegangen, weil bis dahin unbekannte Rohstoffreserven entdeckt und erschlossen wurden. Das Argument ihrer Endlichkeit ist und bleibt dennoch richtig: Diese Vorräte sind nicht vermehrbar, weil sie in Jahrmilliarden gewachsen sind, dazu aber heute keinerlei Gelegenheit mehr haben.

 Nun kommt der von menschlichen Aktivitäten verursachte Klimawandel hinzu. Wir müssen den Ausstoß von CO2, Methan und anderen klimarelevanten Gasen drastisch reduzieren, wenn wir den Klimawandel noch in den Griff kriegen wollen. Nicht immer mehr, sondern weniger muss die Devise sein. Wie soll das gehen in einer wachstumsfixierten Welt?

 Industrie 4.0, also die von Digitalisierung und Automatisierung geprägten neuen Wirtschaftsstrukturen, wird nach Prognosen in den nächsten 20 Jahren ohnehin fast die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze kosten. Dabei kann nicht nur die Bewältigung der sozialen Folgen von Industrie 4.0, sondern auch eine Versöhnung der ökologischen Notwendigkeiten mit den wirtschaftlichen und sozialen Strukturen gelingen, wenn wir alle weniger arbeiten. Z.B. statt der in Deutschland trotz tariflicher 35std.-Woche üblichen über 42 Std. vielleicht 30 oder 25 Std. als Vollzeit-Job. Und das bei vollem Lohnausgleich und/oder auf Grundlage eines bedingungslosen Grundeinkommens von 1.000€ im Monat (siehe oben).

 Dann stünde nicht nur den Teilzeitbeschäftigten, die heute vielfach noch unfreiwillig in Teilzeit arbeiten, weil sie keinen Vollzeitjob finden, sondern jeder*m ein Großteil der heutigen Arbeitszeit als Freizeit zur Verfügung. Jede*r könnte in dieser Zeit nichts tun oder eben das, wozu sie/er heute (vor Corona) oft nicht kommt, was aber eigentlich viel Spaß machen würde: stricken, musizieren, Sport treiben oder Gemüse anbauen. Durch erhöhte Unternehmenssteuern und eine progressive Einkommensteuer, die den finanziell Leistungsfähigeren deutlich mehr abnimmt als denjenigen, die wenig verdienen, ist ein solches Grundeinkommen sozial verträglich finanzierbar. (https://www.stiftung-grundeinkommen.de/)

Das notwendige Weniger bekommt dadurch ein soziales Gleichgewicht und ist auch von geringer Verdienenden hinnehmbar, weil sie trotz weniger Arbeit sich nicht weniger leisten können. Die „Befreiung vom Überfluss“ (Rezension siehe Bücher), die heute von vielen noch als Aufforderung zum Verzicht missverstanden wird, würde tatsächlich als Befreiung erlebt. Und wenn dann der Außenhandelsüberschuss, den der „Exportweltmeister“ Deutschland bisher jedes Jahr aufs Neue erzielt, tatsächlich mal schrumpft, dann merken das nur noch die, die eh schon heute zu viel haben und nicht mehr wissen, wohin damit. Es geht uns allen besser und der Natur sowieso.