Die großen Versprechungen

 

 

  In den vergangenen Wochen brachte die Süddeutsche Zeitung eine Artikelserie über die Nachhaltigkeitsbemühungen deutscher Großunternehmen. Firmen der Autoindustrie, Bauwirtschaft, Chemie, Flugverkehr, Handel, Lebensmittelwirtschaft und einige andere Branchen standen den Reporter*innen Rede und Antwort zu ihrem Bemühen, nachhaltig(er) zu werden, um auch künftig im Wettbewerb bestehen zu können. Fazit der Artikelserie: Die Zeit der Ausreden ist vorbei, das ernsthafte Bemühen um Nachhaltigkeit ist allenthalben unübersehbar.

  Tatsächlich ist es allerdings nicht ganz neu, dass Unternehmen Versprechungen machen, sich künftig verstärkt um die Nachhaltigkeit ihres Handelns zu bemühen. Die abgebildete Anzeige der Deutschen Shell z. B. stammt aus 1995, als Greenpeace die geplante Versenkung der Ölplattform Brent Spar kritisiert hatte und Shell damit großen Schaden zugefügt hatte. Was also ist von den neuerlichen Besserungsbeteuerungen zu halten?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Das wirtschaftliche Handeln vieler Unternehmen steht in einem –vorsichtig ausgedrückt – nicht ganz spannungsfreien Verhältnis zu dem Anliegen, die menschlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Die industrielle Entwicklung ist reich an Katastrophen zum Teil gigantischen Ausmaßes.  Aber auch das ganz normale Geschäft insbesondere der großen multinationalen Unternehmen trägt Tag für Tag dazu bei, die endlichen Lebensgrundlagen zu verbrauchen und die Ausnahmefähigkeit der Erde für die unerwünschten Kuppelprodukte der Wirtschaft übermäßig zu beanspruchen. Kaum jemand äußert noch ernsthaft Zweifel daran, dass die derzeitige Wirtschaftsweise nicht nachhaltig ist. Und bereits seit dem Umweltgipfel von Rio de Janeiro 1992 stimmen die Spitzen weltweit tätiger Unternehmen diesem Urteil zu. Damals legten sie unter Federführung des Schweizer Unternehmers Stephan Schmidheiny ein Buch mit dem Titel „Kurswechsel“ vor und gelobten Besserung, die allerdings wenn überhaupt nur bedingt eingelöst wurde.

 Versprechen dieser Art waren und sind also zahlreich. Shell versprach 1995 „Wir werden uns ändern.“ BP änderte sogar seinen Namen, von „British Petrol“ in „Beyond Petrol“, um damit auszudrücken, dass es seine Zukunft in der Bereitstellung von Energie jenseits fossiler Quellen sah. Schaut man sich die Geschäftsfelder der Konzerne heute an, ist davon nicht mehr viel zu erkennen. BP heißt ehrlicherweise heute nur noch BP und hat mit der Katastrophe um die Ölplattform Deepwater Horizon bewiesen, dass es keineswegs gewillt ist, das profitable Geschäft mit der hochriskanten Förderung von Tiefsee-Öl aufzugeben.

 Im täglichen Geschäft hatten sich seit den 70er Jahren, angestoßen durch ordnungsrechtliche Vorschriften des Staates, Routinen entwickelt, die insbesondere für den betrieblichen Umweltschutz in der Produktion sicherstellen sollten, dass größere Umweltschäden vermieden wurden. Das war leidlich erfolgreich, aber keineswegs zukunftsfähig in dem Sinn, dass dadurch grundlegende Innovationen in Richtung Nachhaltigkeit auf den Weg gebracht wurden. Unspektakulärer Alltag zur Vermeidung größerer Schäden, aber sonst business as usual.

 Abseits staatlicher Vorschriften traten jedoch immer mehr mittelständische Unternehmen auf den Plan, die grundlegende Änderungen in den Geschäftsmodellen angingen und umsetzten, nicht selten auf dem Wege von Neugründungen. Naturfarben statt Chemiefarben, Naturtextilien statt Kunstfasern, Upcycling statt Downcycling, Bio-Produkte für Babies … In nahezu jeder Branche entwickelten sich nachhaltige Alternativen. In den allermeisten Fällen aber blieben sie minoritär. Der Mainstream machte weiter wie bisher.

  Nun sind die Zeiten fortgeschritten. Nachhaltigkeit ist zum Modetrend verkommen. Von der Rüstungsindustrie vielleicht einmal abgesehen, gibt es praktisch kein Unternehmen mehr, das nicht zumindest von sich behauptet, entweder schon nachhaltig zu sein oder zumindest auf gutem Wege dahin. Carsharing und Elektroautos, Green Building, Chemie3. Die Beispiele sind Legion. Keiner will nachstehen. Als Adressat der vielfältigen Beteuerungen ist man in der Regel viel zu wenig Experte, um die Ernsthaftigkeit des unternehmerischen Bemühens, das hier beschworen wird, wirklich beurteilen zu können. So fragt man sich: Ist es seriös oder doch überwiegend greenwashing?

 Eines aber gibt Grund zum Zweifel: Alle gesamtwirtschaftlichen Indikatoren, die die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Nachhaltigkeitsaspekt messen, signalisieren nicht etwa Besserung, sondern den nach wie vor deutlichen Trend zu einer nicht-nachhaltigen Entwicklung: Klimawandel, Artensterben, Flächenversiegelung, Vermüllung der Weltmeere, Abholzung der letzten Naturwälder… Fast alles schreitet weiter in die falsche Richtung fort. Auf der anderen Seite: Ungebremster Energiehunger auch aus fossilen Quellen, kaum Ansätze zu einer Kreislaufwirtschaft mit wirklich geschlossenen Kreisläufen. Technologische Innovationen laufen immer wieder in die Rebound-Falle. Die Digitalisierung und die Energiewende verschlingen massenhaft die dafür unerlässlichen Rohstoffe und hinterlassen bei ihrer Gewinnung großflächig zerstörte Natur.

  Diese Einschätzung teilen viele Experten. So äußerte z.B. der renommierte Ozeanforscher und Klimaexperte Mojib Latif kürzlich auf einer Veranstaltung der Volkswagenstiftung zum 50.Jubiläum der Studie zu den Grenzen des Wachstums , seine fundamentalen Zweifel daran, dass dieser Trend überhaupt noch umgekehrt werden könnte.

 Tatsächlich ist eines offensichtlich: Ernsthaft nachhaltig wirtschaften können wir nur dann, wenn wir unseren ökologischen Fußabdruck spürbar senken, wenn wir die Emission der Treibhausgase verlässlich auf ein klimaverträgliches Niveau reduzieren und dabei das noch verfügbare Gesamtbudget zur Erreichung der 1,5Grad-Grenzen nicht überschreiten. Aber genau das geschieht nicht.

 Zugegeben, dies sind globale Werte, die sich nur begrenzt auf einzelne Unternehmen und Branchen herunterrechnen lassen und die daher als einzelwirtschaftliche Orientierungswerte nur bedingt taugen. Insofern mag das Nachhaltigkeitsbemühen vieler Unternehmen ernst gemeint sein. Ausdruck einer wirklichen Abkehr von Wachstumswahn und Turboglobalisierung ist es bisher jedoch nicht. Dazu bräuchte es verlässliche Messinstrumente, die das Nachhaltigkeitsbestreben von Unternehmen und die erzielten Erfolge wirklich zu beurteilen erlauben. Es braucht eine unabhängig geprüfte Nachhaltigkeitsbilanz, vergleichbar mit der Kapitalbilanz eines Unternehmens, in der nachgewiesen wird, welche messbaren Schritte ein Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit gegangen ist und welche Erfolge es auf diesem Wege erzielt hat. Erste Bemühungen in diese Richtung sowohl für das ganze Unternehmen, als auch für seine Produkte und Leistungen gibt es bereits und die EU bereitet ihre flächendeckende Einführung vor.

 Dabei kann und wird eines der Ergebnisse sein, dass viele Geschäftsmodelle heute etablierter Unternehmen z.B. der Autoindustrie weder nachhaltig sind, noch z.B. durch die Umstellung von Verbrennern auf Elektroautos nachhaltig gemacht werden können. Von genau einem Manager, dem Franzosen Daniel Goeudevert, ist bekannt geworden, dass er „sein“ Unternehmen, die Volkswagen AG, bereits in den 1990er Jahren auf den Weg vom Autoproduzenten zum Mobilitätsdienstleister führen wollte. Mit der Konsequenz, dass er seinen Job sehr bald wieder verlor.  Ein ähnlicher Vorschlag würde vermutlich heute wie damals diejenigen, die ihn vorbringen, ähnlich schnell ins Aus befördern wie seinerzeit den „Querdenker“ Goeudevert. Dennoch wird sie für viele Unternehmen der fossilen Wirtschaft notwendig sein, wenn sie tatsächlich nachhaltig wirtschaften wollen. Ohne die ehrliche Bereitschaft zu einer radikalen Veränderung des Geschäftsmodells bleiben damals wie heute die Nachhaltigkeitsversprechen von Unternehmen das, was sie seit jeher waren: Public Relations-Pflege nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber so lange, bis möglichst viele glauben, dass es gut ist. Und schweige über das, was nicht so gut ist, selbst wenn Du weißt, dass es genauso ist.