Auch Wohnwende geht!

 

Dieser arme Poet frei nach Carl Spitzweg ist ein Bär und er scheint sich in seiner kalten und feuchten Mansarde leidlich wohl zu fühlen. In vielen Teilen der Welt gibt es tatsächlich weitaus schlimmere Wohnverhältnisse, für sehr viele Menschen sogar auf Dauer. In Deutschland dagegen haben die meisten Menschen gute Wohnumstände, auch wenn wie in vielen anderen Bereichen zwischen Villen und Kleinstwohnungen sehr große Unterschiede zu beobachten sind. Aber auch beim Wohnen leben wir über unsere Verhältnisse, wir verbrauchen viel mehr Energie, Fläche und weitere natürliche Ressourcen, als uns gerechterweise zustehen. Davon handelt der folgende Beitrag, auch hier wieder, weil ich kein Fachmann für Städte- und Wohnungsbau bin, vor allem auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte bezogen.

 

    In Deutschland haben sich die Wohnverhältnisse seit dem zweiten Weltkrieg erheblich verändert. In der Nachkriegszeit herrschte – bedingt durch die Zerbombung vieler Städte und die Massenflucht aus den Ostgebieten - extreme Wohnungsnot. So gab es 1950 in der jungen Bundesrepublik 15,4 Millionen Haushalte, aber nur 10,1 Millionen Wohnungen. Erhebliche staatliche Fördermaßnahmen bewirkten eine Bauboom, in dem zu seinem Höhepunkt 1964 in einem Jahr 624 000 Wohnungen errichtet wurden und damit mehr als je in der deutschen Geschichte. Es gab staatlich geförderten sozialen Wohnungsbau mit Wohnungsgrößen von 32 bis 64 Quadratmetern, deren Vergabe auf Mieter unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen begrenzt war. Steuerbegünstigte Wohnungen durften 80 bis – für Kinderreiche – 120 Quadratmeter groß sein. In der DDR setzte die Regierung auf den Wohnungsbau von Genossenschaften und Staatsbetrieben mit niedrigen Mieten und öffentlicher Bewirtschaftung. Die Wohnungsgrößen waren und sind bis heute kleiner als im Westen.

   In Westdeutschland wurde dann allerdings das Ausmaß der staatlichen Wohnungsbauförderung und der Wohnungsgemeinnützigkeit schrittweise zurückgefahren. Die Menschen sollten Wohneigentum bilden, wünschte sich die Politik. Außerdem könne der Markt es besser, so die sich immer mehr durchsetzende Überzeugung. Zwar wurden Schutzklauseln für Mieter erhalten (Kündigungsschutz, Eigenbedarfsvorbehalt), aber die Eigenheimförderung gewann Oberhand. Zudem war die Sozialbindung stets nur befristet, so dass nach deren Ablauf spürbare Mieterhöhungen vorgenommen werden konnten.

    Bereits 1990 wurde das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) ersatzlos gestrichen. Dadurch wurde es möglich, dass die öffentlichen Wohnungsgesellschaften, vor allem um die öffentlichen Haushalte zu sanieren, und andere gemeinnützige Träger die von ihnen gehaltenen Wohnungen an private Wohnungskonzerne wie Vonovia, Deutsche Wohnen und andere verkauften. Letztere wurden dabei sogar noch subventioniert, da sie anders als andere Wohnungskäufer keine Grunderwerbssteuer zu zahlen hatten.

    Die Bildung von Wohneigentum dagegen wurde seither durchgehend staatlich gefördert. Durch Steuervergünstigungen und Staatszuschüsse, jüngst in Form von Baukindergeld, konnten insbesondere junge Familien mit Kindern Eigenheime errichten. Die aktuellen Folgen: ständig steigende Mieten, die nicht selten über den Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum liegen. Auch viele Normalverdiener können sich das Wohnen in den Städten kaum mehr leisten und ziehen an die Peripherie. Nicht zuletzt verschärft sich der Mangel an innerstädtischem bezahlbarem Wohnraum durch die zunehmende Umwandlung von vielfach sanierungsbedürftigen (Miet)wohnungen in teure (Eigentums)wohnungen für Gutverdienende. In Berlin fordert inzwischen eine Bürgerinitiative die Enteignung der privaten Mietwohnungskonzerne.

    Aktuell leben etwa 46% der Deutschen in Wohnungen oder Häusern, die ihr Eigentum oder das ihrer Familie sind, 54% in Mietwohnungen. Insgesamt sind derzeit 94% der Wohngebäude in Deutschland im Eigentum von Privatpersonen, vor allem in Form des selbstgenutzten Wohneigentums in Ein- und Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen, nur zu einem geringeren Teil als Mehrfamilienhäuser. Im Durchschnitt verfügt jeder Einwohner Deutschlands über 47 m2 Wohnfläche, 1965 waren es in Westdeutschland noch 22 m2, in der DDR noch weniger. Allerdings ist die Wohnfläche sehr ungleich verteilt, denn knapp 8% leben in überbelegten Mietwohnungen, in denen sich z.B. zwei oder mehr Kinder über 12 Jahren ein Zimmer teilen müssen oder der Wohnraum auch zum Schlafen genutzt werden muss. Davon betroffen sind vor allem Alleinerziehende, Mieter ausländischer Herkunft und armutsgefährdete Personen in größeren Städten. Diese Wohnungen sind in großem Umfang sanierungsbedürftig. Im Durchschnitt beträgt die Mietbelastung über 27% des Haushaltseinkommens.

   Die Zahl der Wohnungen je 1.000 Einwohner verdoppelte sich von 214 (im Jahr 1972) auf rund 500 (2019). 65 % der Wohngebäude sind Einfamilienhäuser, weitere 17 % sind Gebäude mit zwei Wohnungen, lediglich 17% solche mit drei und mehr Wohnungen. Von den derzeit etwa 42,5 Mio. Wohnungen in Deutschland stammen ca. 11 Mio. (26%) aus der Zeit vor 1949, 23 Mio. wurden zwischen 1949 und 1990 gebaut. Lediglich die restlichen ca. 19% wurden nach 1990 errichtet. Auch hier bestehen spürbare Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern. Im Osten stammen ca. 50% der Wohngebäude aus der Zeit vor 1949.

    Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich ein erheblicher Wandel in der Bevölkerungsstruktur. Zwischen 1991 und 2018 stieg trotz rückläufiger Geburtenrate die Bevölkerungszahl in Deutschland vor allem durch Einwanderungen um knapp 4%. Die Zahl der Haushalte aber stieg um 17% von 35,3 Mio. auf 41,4 Mio. Die Zahl der Einpersonenhaushalte nahm im gleichen Zeitraum um 46 % und die Zahl der Zweipersonenhaushalte um 29 % zu. Zugleich nahm die Zahl der Haushalte mit drei oder mehr Personen um 20 % ab. Im Jahr 1991 bestanden 64 % der Haushalte aus einer oder aus zwei Personen, in den übrigen 36% der Haushalte lebten drei oder mehr Mitglieder. Im Jahr 2018 betrug der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte bereits 76%, während nur in 24% der Haushalte mehr als zwei Personen zusammenwohnten. Insgesamt halten sich aktuell die Zahl der Haushalte und die Zahl der Wohnungen in Deutschland etwa die Waage.

    In wachsendem Umfang werden Wohnungen und Einfamilienhäuser für touristische Zwecke genutzt und deshalb dem regulären Wohnungsmarkt entzogen und teilweise nur einige Wochen genutzt oder zu teuren Mieten vergeben. Das führt z.B. auf Sylt oder in der Alpenregion dazu, dass Einheimische keine regulären Mietwohnungen mehr finden oder sich leisten können. Ähnliche Entwicklungen gibt es in großen Städten mit Kurzzeitvermietungen über Airbnb oder andere Portale. Genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor, da nur ein Teil dieser Wohnungen gewerblich oder privat vermietet wird, ein anderer Teil aber zum Teil nur für wenige Wochen im Jahr nur von den Eigentümern selbst genutzt wird.

 Führt man die beschriebenen Entwicklungen zusammen, dann zeigen sich folgende Befunde:

  •   Die staatliche Wohnungspolitik hat dazu geführt, dass der Wohnungsbau und –unterhalt überwiegend den Mechanismen des Marktes unterworfen wurde.
  •  Nicht zuletzt infolge des massiven staatlichen Ausbaus der Infrastruktur (Straßen, Kitas, Schulen etc.), des Bevölkerungswachstums und der Veränderung der Haushaltsstrukturen sind die Bodenpreise extrem gestiegen (bundesweit seit 1962 um 2308 %!)  und haben zu einer starken Verteuerung des Wohnens geführt.
  •  Ca. 2/3 der vorhandenen Wohngebäude sind älter als 40 Jahre und haben eine deutliche Sanierungslücke, insbesondere im Bereich des Energieverbrauchs.
  •  Es gibt einen hohen Bestand an freistehenden Ein- und Zweifamilien- und Reihenhäusern, insbesondere in den Speckgürteln großer Städte und auf dem Land, ebenfalls verbunden mit erhöhtem Energieverbrauch gegenüber Mehrfamilienhäusern, aber mit neuerer Bausubstanz als im Mietwohnungssektor.
  • Die Wohnfläche pro Person hat stark zugenommen, allerdings ungleich auf die Bevölkerung verteilt.
  • Die Zahl der Haushalte hat deutlich stärker als die Zahl der Einwohner zugenommen, vor allem bedingt durch die Zunahme der Einpersonenhaushalte, woraus ein gestiegener Bedarf an Wohnungen resultiert.
  • Nicht zuletzt dadurch sowie durch die Umnutzung als Ferienwohnungen gibt es einen deutlichen Mangel an bezahlbarem Wohnraum, vor allem in touristischen Regionen und den Zentren der großen Städte.

    Die Umweltinanspruchnahme durch den Energieverbrauch, durch Flächeninanspruchnahme und den Verbrauch an mineralischen Rohstoffen wie Kalk, Gipsstein, Kies, Sand oder Ton ist zudem bereits für die bauliche Errichtung neuer Wohngebäude erheblich und fällt gegenüber der Nutzung der Gebäude mindestens gleichgewichtig aus. Insgesamt wird fast die Hälfte des gesamten Energiebedarfs in Deutschland dafür verwendet, Bauprodukte zu erzeugen, diese zu transportieren, Häuser zu bauen, den Bestand zu sanieren und Gebäude mit Energie zu versorgen. Ein erheblicher Teil davon entfällt auf den Neubau, obwohl die Sanierung des Bestandes gegenüber Abriss und Neubau die ökologisch deutlich bessere Wahl darstellen würde. Denn trotz massiver Recycling-Vorschriften und –Praxis im Bauwesen sind natürliche Ressourcen wie Sand und Kies und auch die bebaubare Fläche knapp, weil nicht erneuerbar und damit zunehmend wertvoll. 

    Um den Verbrauch an Energie, Fläche und diversen Baustoffen zu reduzieren, gibt es verschiedene technische Möglichkeiten. An vorderster Stelle steht die Reduzierung des Energieverbrauchs, bei der inzwischen nicht nur die Nullmarke erreichbar ist, sondern sogar Plusenergiehäuser möglich sind, die mehr Energie produzieren als verbrauchen. Zumindest der Passivhausstandard mit effizienter Wärmerückgewinnung durch optimierte Lüftung ist auch bei der Sanierung im Bestand erreichbar, die zusätzlichen Flächenverbrauch vermeidet und Materialverbräuche erheblich reduziert. Die Substitution von mineralischem Baumaterial durch Holz stellt eine weitere Möglichkeit auch im Mehrfamilienhausbau dar.

    Dem, was technisch möglich und ökologisch sinnvoll ist, stehen allerdings soziale und ökonomische Hemmnisse entgegen. So sind im Mietwohnungsbereich die Interessen von Mietern und Eigentümern, solange das ökonomische Interesse an der Verzinsung des eingesetzten Kapitals bei den Eigentümern dominiert, sehr unterschiedlich. Energetische Sanierung z.B. kostet das Geld des Vermieters, nutzt aber dem Mieter. Sie wird zudem für selbstgenutzte Eigenheime staatlich gefördert, für Mehrfamilienhäuser aber immer noch stark erschwert, um das Geschäftsmodell der Energiekonzerne zu schützen. Obwohl das Wohnen in vorhandenen Bestandsgebäuden ökologisch sinnvoller ist als der Neubau von Eigenheimen, wird vor allem Letzterer staatlich gefördert und u.a. deshalb von jungen Familien bevorzugt. Überall entstehen Einfamilienhaus-Neubausiedlungen auf bisher nicht für das Wohnen genutzten Flächen, während die Innenstädte veröden, verslummen oder der Edelsanierung anheimfallen. Durch die daraus resultierende Verlängerung der Wege zur und von der Arbeitsstelle verschärfen sich auch die Mobilitätsproblematik und deren ökologischer Fußabdruck.

    Menschen verändern ihren Wohnungsbedarf im Zeitablauf. Wer als junger Mensch die elterliche Wohnung verlässt, braucht zunächst vielleicht ein Zimmer in einer WG oder ein kleines Appartement, danach vielleicht mit einem Lebensgefährten zunächst eine etwas größere Wohnung, danach eine, die Familienzuwachs ermöglicht, bis wiederum die Kinder die Wohnung verlassen, diese dadurch für zwei oder einen Ältere(n) zu groß wird, aber nicht gern aufgegeben wird. Ungeplante Brüche in der Biographie können zudem den Bedarf sehr kurzfristig verändern. Die Wohnungsbestände diesen Bedarfen flexibel anpassbar zu gestalten, ist eine Herausforderung, die architektonisch z.B. durch Grundrisse mit mehreren nicht allzu ungleichen Räumen oder durch die Einrichtung flexibel nutzbarer kooperativer Wohnformen (Mehrgenerationenhäuser) gelöst werden könnte. Nicht zuletzt gibt es alternative Wohnformen, die zumindest für junge Leute immer attraktiver werden: Bauwagen, Hausboote und die sog. tiny houses sind einige davon.

    Wohnen ist ein Menschenrecht, das so weit wie möglich unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Menschen durch eine Gesellschaft sichergestellt werden sollte, nicht zuletzt um die mit dem Wohnen verbundene Naturinanspruchnahme so weit wie möglich zu reduzieren. Die staatliche Wohnungspolitik muss daher vor allem die Auslieferung dieses für alle Menschen wichtigen Lebensbereiches an die Mechanismen des Marktes erheblich reduzieren. Dass dies möglich ist, beweist der soziale Wohnungsbau der Stadt Wien bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts.

    Was in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg im sozialen Wohnungsbau durch eine enge m2-Begrenzung und eine geringe Grundmiete gewährleistet wurde, bedarf sicher der Anpassung an heutige Verhältnisse, kann aber eine Orientierung bieten. Die Beteiligung der in einem Gebäude wohnenden Menschen an wichtigen Entscheidungen über Sanierung, Um- und Ausbau stellt einen weiteren Baustein dar. Hier liefern heute bereits gemeinnützige Wohnungsgenossenschaften gute Ansätze.

    Bauförderungs- und Sanierungsanreize sollten sich nicht wie derzeit vorrangig auf Einfamilienhäuser kaprizieren, sondern ökologische Gestaltungsmaßnahmen ins Zentrum rücken und dabei Flexibilisierungsmöglichkeiten und auch Flächenbegrenzungen stärker als bisher berücksichtigen. Wohneigentumsförderung sollte vor allem in Mehrfamilienhäusern ansetzen, nicht beim flächenverzehrenden Einfamilienhaus. Auch die Umnutzung von Gewerbe-, Büro- und Einzelhandelsimmobilien in den Innenstädten ist eine bedenkenswerte Option, nicht zuletzt zur Wiederbelebung der Innenstädte. Hier sollten die Kommunen anders als derzeit eigene Grundstücke nicht an den meistbietenden Investor verkaufen, sondern städtebaulichen Gesichtspunkten und z.B. Nutzer-Baugruppen den Vorrang geben, die attraktive Gestaltungsideen umsetzen wollen. Staatliche Grundstücke sollten nur noch in zeitlich begrenzter Erbpacht vergeben werden, um Spekulation zu verhindern. Für Senioren sollten Anreize zur Übergabe von größeren Wohnungen an WGs oder junge Familien geschaffen werden. Alternative Wohnformen verdienen eine spezielle Förderung.

    Die dargestellten Ansätze sind Schritte zu einer grundlegenden Umgestaltung des Wohnwesens in Deutschland, die ökologische und soziale Gesichtspunkte gegenüber den bisher vorherrschenden ökonomischen in den Vordergrund rückt. Sie sind keineswegs vollständig, sondern ergänzungs- und diskussionsbedürftig. Zudem bedürfen sie einer Fundierung im Bodenrecht, wie sie der 2019 verstorbene ehemalige SPD-Vorsitzende und langjährige Experte für das Wohnungswesen Hans-Jochen Vogel noch kurz vor seinem Tode in einer bemerkenswerten Schrift zusammengefasst hat. (Mehr Gerechtigkeit! Herder Verlag, Freiburg 2019) Darin schreibt er u.a.: "Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Boden ist unvermehrbar und unverzichtbar. Er darf daher nicht dem unübersehbaren Spiel der Marktkräfte und dem Belieben des Einzelnen überlassen werden." Wenn Politik will, heißt es auch auf diesem Gebiet: sozial gerecht und nachhaltig geht!